Zunächst klingt alles ungewöhnlich an diesem jungen und fabelhaften Musiker: seine Herkunft, seine Konzerte, sein mit Sand behandeltes Instrument, die Wahl der unterschiedlichen Formationen, mit denen Abel Selaocoe die Bühne betritt.
Doch wenn man ein wenig nachfragt (und nachhört), fügt sich alles wie von selbst zusammen, unaufhaltsam organisch strebend, kräftig und doch zart, unter ganz unwahrscheinlichen Bedingungen gewachsen wie eine Blume, die es eben nicht im Gartenmarkt nebenan gibt.
Abel Selaocoe (ausgesprochen etwa: Se-lau-che, mit Betonung auf der zweiten Silbe) wurde 1992 in einem Township südlich von Johannesburg geboren, zwei Jahre bevor Nelson Mandela als neuer Präsident das koloniale Machtgefüge der Apartheit aufbrach. Zu Hause wurde viel gesungen; vor allem der überlieferte Gesang spiritueller Heiler und Heilerinnen, wie seine Tante eine war, sollte seinen späteren künstlerischen Weg prägen. Aber auch klassische Musik war im Haus zu hören: Abels acht Jahre älterer Bruder Sammy spielte Fagott. Samstags nahm Sammy den Jüngeren mit nach Soweto zur African Cultural Organization of South Africa, einer Musikschule, die von Michael Masote geleitet wurde. »Er ist die größte Inspiration in meinem Leben«, betont Selaocoe. »Seinem Weg zu folgen fühlte sich völlig natürlich an. Ich hatte nie das Gefühl, Musik zu lernen, die von weit herkommt, sondern ich fand diese Musik immer in mir selbst.«

Was im Innersten schlummerte, war die Sehnsucht nach einem großen Instrument: dem Cello. Die Schule ermöglichte es ihm, die Blockflöte und den Besenstiel, auf dem er als Kind das Streichinstrument simulierte, beiseite zu legen und in einen völlig anderen Klangkosmos einzutauchen. Nun war der Weg frei. Die Welt stand ihm plötzlich in seiner weiteren Ausbildung offen, als er ein Stipendium für das St. John’s College in Johannesburg gewann. Aber es sollte noch besser kommen. 2010, mit 18 Jahren, sicherte sich Selaocoe einen Platz am Royal Northern College of Music in Manchester, wo er heute lebt. Sein neues Umfeld auf der nördlichen Halbkugel gefiel ihm, er schloss Freundschaften zu Musikern und Ensembles, mit denen er heute noch zusammenarbeitet. Es formte sich das, was seinen mehrdimensionalen Stil ausmacht, seine genreübergreifende Offenheit, seine variable Rolle innerhalb der Besetzungen, mit denen er auftritt und kooperiert. Ob es nun das BBC Concert Orchestra, Cello-Kollege Yo-Yo Ma oder Sidiki Dembele und das Manchester Collective ist: Das Cello habe immer die »Fähigkeit, die Gestalt zu verändern«, gesanglich wie auch rhythmisch, sagt er. Er schätzt die Werke von Bach, Haydn, Ravel und Ligeti ebenso wie improvisierten Jazz oder Wagogo-Musik aus Tansania. Nichts bleibt statisch und unverrückbar. Der spezielle Groove ist immer anders. »Wenn Sie ein klassischer Musiker sind, werden Sie sagen, Groove sei ein Rhythmus, der sich wiederholt, aber das ist völlig falsch. Die Perspektive ändert sich jedes Mal, wenn Sie es tun.«
Den Groove entlockt Selaocoe seinem Instrument auch, indem er den Korpus einsetzt, mit Klopfen, Antippen, Streicheln. Dazu hat er eine speziell auf ihn zugeschnittene Sonderanfertigung von dem bekannten Cellobauer Robin Aitchison herstellen lassen. »Es ist eine Kopie eines alten Montagnana«, schwärmt er. Das Holz ist mit kleinen Sandkörnern versetzt, damit der Klang noch perkussiver wirkt. Als er dieses Cello zum ersten Mal spielte, war es nicht Liebe auf den ersten Ton, weil es zu laut schien. Aber heute sind sie eng verbunden: »Es geht darum, einander zu verstehen.«
2022 erschien sein erstes Album bei Warner Classics. »Unter all den Cellisten dieser Welt kenne ich keinen, der so viel Herz und Freude ausstrahlt wie Abel Selaocoe«, schrieb ein begeisterter Kritiker der englischen »Times«. Das Album »Where is home (Hae Ke Kae)«, das Cellosonaten von Giovanni Benedetto Platti und Cellosuiten von Johann Sebastian Bach mit eigenen, in südafrikanischer Sesotho-Sprache betitelten Kompositionen verbindet, stellt die Frage nach dem Wesen der Heimat. Die Antwort: »Als afrikanischer Cellist war ich immer auf der Suche nach einem Zuhause. Aber Heimat ist kein geografischer Ort, es sind die Orte im Leben, die einem Kraft geben. Das kann ein geistiger Ort sein, es können Menschen sein, es kann die Einsamkeit sein oder eine Gewohnheit. Es kann aber genauso etwas sein, das du auf deinen Reisen findest.«
Welches Programm erwartet das Publikum im Konzerthaus? »Ich weiß es nicht. Manchmal kann ich dir zwar sagen, was ich spielen werde, aber nicht in welcher Reihenfolge.« Die Interaktion mit seinen Mitspielern sei wichtig. Der Raum für Improvisation und Spontaneität müsse immer gegeben sein. Das unterscheidet seine Konzerte von der klassischen Vorstellung eines Programms, das schon Jahre im Voraus geplant wird und sich dann in den Saisonbroschüren gedruckt wiederfindet. Als Solist, Sänger, Improvisateur und Weitererzähler »progressiver Tradition« weiß der Südafrikaner, wie Magie durch Musik entsteht, denn die Wurzeln seiner Kunst bleiben immer präsent: »Wir sind wie Ärzte. Wir verschreiben Medizin.«
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- Mitwirkende
- Mitwirkende
- Abel Selaocoe Violoncello
- Sidiki Dembele Afrikanische Perkussion
- Manchester Collective
- Rakhi Singh Violine
- Simmy Singh Violine
- Ruth Gibson Viola
- Alan Keary Bassgitarre
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