Konzerthaus Dortmund

Alles an seinem Platz

Fulminanter könnte die Saison 2024/25 wohl kaum beginnen: Anne-Sophie Mutter, das Pittsburgh Symphony Orchestra und Manfred Honeck adeln das Event des Jahres.

Solistinnen und Solisten entwickeln zuweilen Schrullen, wenn es um die Vorbereitung auf ein Konzert geht. Manche schwören auf ein Nickerchen oder aufs Meditieren. Andere küssen die Manschettenknöpfe eines väterlichen Freundes, wie Leonard Bernstein. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter dagegen schwört auf ungesüßten Saft und Müsli, die ihr den letzten Schwung geben. Sie verschmäht auch einen Wodka nicht. »Es stimmt, dass ich manchmal nach möglichst hochprozentigem Alkohol frage. Der ist eben sehr gut zum Saitenputzen.« Ein Schlückchen vor dem Konzert, das wäre für sie völlig undenkbar. Aber selbst dann würde sie das Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy wahrscheinlich noch so vollendet spielen, als führe ihr der Komponist selbst Bogen und Hände.

Anne-Sophie Mutter © Kristian Schuller / DG

Diese Verbundenheit mit dem Werk hat eine Geschichte: »Was meine Leidenschaft für Musik und für die Violine überhaupt erst entfacht hat, ist eine Platte mit den Konzerten von Mendelssohn und Beethoven, gespielt von Yehudi Menuhin und dirigiert von Wilhelm Furtwängler. Meine Eltern haben sie damals so oft gehört, bis sie völlig hinüber war.« Anne-Sophie Mutter ist noch ein Geigen-Wunderkind, als sie mit diesem Konzert auftritt, zum ersten Mal begleitet von einem großen Orchester. 1981 nimmt ihr Entdecker und Mentor Herbert von Karajan eine LP mit ihr und dem Mendelssohn-Konzert auf. Mit ihrer Leistung damals ist sie heute nicht mehr ganz zufrieden. »Vielleicht war ich da noch zu jung und zu überschwänglich, um die feineren Linien und inneren Stimmen dieses Konzertes zu verstehen«. Danach hat sie das Stück viele Jahre links liegen gelassen. Kurt Masur ist es, der sie dazu bringt, die Noten wieder aufs Pult zu legen. Mendelssohn in Leipzig, noch dazu mit seinem Gewandhausorchester – da hat es magische Momente gegeben, die auch auf Tonträger verewigt sind. »Alles hat da plötzlich seinen Platz gefunden«, schwärmt sie.

Anne-Sophie Mutter ist ein Weltstar der Klassikszene. Ihr vibratoreiches Spiel und der – wie Mutter sie selbst beschreibt – »tigerhafte Klang« ihrer berühmten Stradivari »Lord Dunn-Raven« ist wahrlich unverwechselbar. Die Geigerin ist ein musikalisches Kraftwerk, unendlich neugierig, grenzenlos temperamentvoll, bis ins Allerletzte perfekt und dazu noch überwältigend sympathisch. Mutter hat in London unterrichtet, Stiftungen gegründet, den Nachwuchs gefördert und die berühmtesten Komponistinnen und Tonsetzer dazu angeregt, Konzerte für sie zu schreiben. Über dreieinhalb Jahrzehnte lang musiziert sie schon mit ihrem Klavierpartner Lambert Orkis – eine verlässliche und künstlerisch singuläre Partnerschaft. Ihre Diskografie platzt aus allen Nähten. Sie enthält viele Ohrenschmeichler, aber auch manch Sperriges, wobei der Trick ist, dass man aus ihren Händen auch Musik von Penderecki, Lutosławski oder Sofia Gubaidulina aufmerksam entgegennimmt.

Abseits von außergewöhnlichen Projekten wie jüngst mit dem Übervater der Filmmusik, John Williams, ist das Mendelssohn-Konzert Fixpunkt und Schicksalsstück für Anne-Sophie Mutter geblieben. Jetzt ist sie wieder damit unterwegs, gemeinsam mit Manfred Honeck und seinem Pittsburgh Symphony Orchestra. Da vereinen sich drei Dinge, die einfach zusammengehören, meint Mutter. »Meine Verbindung mit dem Orchester reicht 30 Jahre zurück. Sie ist die engste künstlerische Beziehung mit einem amerikanischen Orchester, die ich habe. Immer ist es eine Freude, mit diesen wunderbaren Musikern zu arbeiten und mit Manfred Honeck, sei es in Pittsburgh oder auf Tournee.«

Bei diesen engen Banden zum Orchester hat auch der Dirigent, Komponist und Pianist André Previn eine Rolle gespielt. Mit ihm ist Anne-Sophie Mutter verheiratet gewesen, und er hat auch das Pittsburgh Symphony für einige Jahre geleitet. Es ist ein ausgesprochenes Tournee-Orchester, das seit seiner Gründung 1895 immerhin 36 internationale Reisen absolviert hat. Unter den Chefdirigenten finden sich klingende Namen: Victor Herbert zum Beispiel, der berühmte Light-Music-Komponist, Fritz Reiner, William Steinberg, Lorin Maazel oder Mariss Jansons. Manfred Honeck begleitet das Orchester seit 2008 durch so manche finanzielle Stromschnelle und trägt es hinauf zu vielen künstlerischen Gipfeln. Den Klang seines Orchesters umreißt er so: »Das Pittsburgh Symphony Orchestra ist präzise, aber trägt auch eine große Liebe zur Expressivität und zur Wärme in sich. Die Musiker können leicht und elegant spielen, aber auch zupacken und besitzen eine große Energie. Ich finde das sehr interessant, weil das Orchester eine Persönlichkeit hat und es alles spielen kann, gleichzeitig aber immer auf der Suche nach neuen musikalischen Farben ist.«

Für die Sinfonien von Gustav Mahler ist der Pittsburgh-Klang wie geschaffen. In der Sinfonie Nr. 5 klingt der Trauermarsch mit typisch amerikanischem Blech außergewöhnlich strahlend und rund. Und für den zentralen Walzer findet der Österreicher Manfred Honeck sicher einen ganz eigenen, wienerischen Schwung.

Warm, leicht und elegant, so klingt auch der Mendelssohn mit Anne-Sophie Mutter und dem Pittsburgh Symphony. »Was mir am Violinkonzert am besten gefällt ist, dass es diesen Mitsommernachtsgeist in sich trägt«, sagt Mutter. »Es hat den Appassionata-Charakter dieses sehr jungen Mannes, jugendlich, stürmisch, aber zugleich auch sehr zart und pur«. Sie möchte diese Ungeduld des Herzens hörbar machen, übrigens auch im langsamen Satz. Den Elfentanz des Finales empfindet sie als typisch für den Komponisten. »Dieses Dahinhuschende, Entschwebende, Geisterhafte ist enorm virtuos, diese Leichtigkeit ist eine Herausforderung für den Interpreten.« Am Ende vereine das Violinkonzert alles, was große Musik ausmache, sagt sie, »Leidenschaft, Virtuosität, Reinheit des Ausdrucks, Tiefe der Empfindung, bedingungslose Hingabe an den musikalischen Ausdruck«. Ein Stück Unsterblichkeit, unterstützt durch Müsli und Saft. Und vielleicht mit einem Schuss Wodka. Für die Saiten. 

    • Sa 31.08.2024
    • 19.30 Uhr

    Orchesterkonzert

    Anne-Sophie Mutter & Pittsburgh Symphony Orchestra

    Festliche Saisoneröffnung – die Stargeigerin spielt Mendelssohns Violinkonzert