Konzerthaus Dortmund

Ein Meister aus Estland

Die Zeitinsel der Saison 2023/24 widmen wir Arvo Pärt. Auf diesem Inselrundgang mit vielen bekannten Pärt-Interpretinnen und -Interpreten gibt es mehr als Musik zu entdecken.

Wer sich dem Werk Arvo Pärts nähern will, sollte das in Ruhe tun. Zum einen, weil er ein sehr vielseitiges OEuvre komponiert hat, von der Neoklassik bis zu seinem ureigenen »Tintinnabuli«-Stil. Zum anderen, weil seine Musik aufmerksames Zuhören belohnt – und das nicht erst, seit Pärt geistliche Musik komponiert, die eng mit der Spiritualität ihres Schöpfers verbunden ist.

Pärt gehört zu den wichtigsten Komponisten der Gegenwart. Und zu den populärsten: Die Deutsche Welle hat ihm »Popstar«-Status unter den zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten zuerkannt, niemand sonst wird so häufig gespielt. Zu seinem Bekanntheitsgrad hat wesentlich beigetragen, dass seine Musik in vielen Filmen zu hören ist. »Spiegel im Spiegel«, 1978 entstanden, ist das prominenteste Beispiel. Pärt selbst hingegen, inzwischen 87 Jahre alt und nicht nur in seinem Heimatland Estland eine lebende Legende, hat sich zurückgezogen. Das fördert die Legendenbildung und begünstigt die Pflege des Klischees vom weltabgewandten Mystiker, dessen Kunst sich zeitgenössischen Ansprüchen und Erwartungen an Komplexität als Selbstzweck verweigert. Pärt dreht den Spieß um: »Wenn sich die Dinge übertrieben komplizieren, wie es oft in der zeitgenössischen Musik vorkommt, so können die Menschen dem musikalischen Gedanken des Komponisten nicht mehr folgen und sie verstehen nicht einmal die wichtigen Neuerungen in der Klangwelt des Komponisten.« In der Kunst sei alles möglich – aber nicht alles nötig.

»Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich.« Arvo Pärt

»Klangwelt« ist ein passender Begriff für seine Musik, denn er schafft seit mehr als vier Jahrzehnten aus Klängen eine innere, spirituelle Welt. Das war nicht immer so: Pärt hat künstlerisch viele Wege beschritten, manche endeten in einer Sackgasse. Er hat neoklassizistisch komponiert, sich der Zwölftonmusik und der seriellen Musik zugewandt und galt sogar als Vertreter der sowjetischen Avantgarde. Mit »Tabula rasa«, einem Doppelkonzert für zwei Violinen, präpariertem Klavier und Streichorchester, das auch auf dem Zeitinsel-Programm steht, gelingt ihm der Durchbruch – auch dank der ECM-Produktion von 1984, auf der zudem »Fratres« mit Gidon Kremer und Keith Jarrett zu hören ist. 

Kremer ist neben dem Tallinn Chamber Orchestra unter Tõnu Kaljuste, dem Estnischen Philharmonischen Kammerchor sowie Paavo Järvi und dem Estonian Festival Orchestra einer der großen Pärt-Interpreten und -Interpretinnen, die bei der Zeitinsel Pärts Musik neu entdecken. In Dortmund kann man in einer einzigartigen Art und Weise Pärts musikalischer Lebensreise folgen – und mit Hilfe seiner langjährigen Wegbegleiter nachvollziehen, was ihn zu dem radikalen Neuanfang inspirierte, mit dem er die Welt der zeitgenössischen Musik auf den Kopf gestellt hat.

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Arvo Pärt revolutionierte sie auf seine Art, nachdem er auf Aufnahmen gregorianischer Gesänge gestoßen war. »Musik mit Seele«, ohne Harmonie, ohne Metrum, ohne Orchestrierung. Darin findet er seinen inneren Kompass. Nach langem Schweigen meldet er sich 1976 mit dem Klavierstück »Für Alina« zurück. »Ich arbeite mit wenig Material, mit einer, mit zwei Stimmen, ich baue aus primitivstem Stoff«, erläutert er. Im berühmten Stück »Spiegel im Spiegel«, das ursprünglich für Geige und Klavier geschrieben ist, sind das sich wiederholende Dreiklänge im Klavier und Tonleitern der Violine, alles kreist in F-Dur um den Ton »a«. Es ist eine strenge, klare Konstruktion mit beinah hypnotischer Wirkung. »Tintinnabuli«, Glöckchen, nennt Pärt seinen Stil, weil die Noten eines Dreiklangs glockenähnlich wirken. Er befreit die sogenannte Ernste Musik aus der Sackgasse von Geräuschhaftigkeit, Atonalität und Arhythmik. Pärt plädiert für eine neue Einfachheit, für ergreifende und tonale Musik, die von der intellektuellen Avantgarde abgelehnt wurde, aber die Menschen erreicht und bewegt. »Ich schreibe nur. Ich habe nichts zu sagen. Die Musik sagt, was ich sagen muss.« Der Zauber seiner Musik ist so stark, dass sich auch die Musikwelt öffnet. Es wird wieder opportun, auch harmonisch zu komponieren.

Pärts Musik ist frei von Kitsch und Sentimentalität, aber voll Glaube: Die »einfache« Konstruktion, die klare Ordnung seiner Musik spiegelt für ihn göttliche Wahrheit. Seine Musik soll Schwingungen und Resonanz entstehen lassen. »Das ist das Geheimnis von Musik, von jeder Musik.« Pärt lässt die Zuhörerinnen und Zuhörer an seiner spirituellen Reise teilhaben. Dabei geht es weniger um den Intellekt, als um eine existenzielle Erfahrung: »Musik ist ein Freund, verständnisvoll, empathisch, vergebend, tröstend, ein Tuch, um die Tränen der Traurigkeit zu trocknen, eine Quelle von Freudentränen, aber auch ein schmerzhafter Dorn im Fleisch und in der Seele.« Der Weg auf die von Pärt gesuchte »Zauberinsel« kann steinig sein, doch seine Musik kann dabei helfen, sie zu finden: Wer sich auf die Dortmunder Zeitinsel begibt, kann mit auf die Suche gehen.

    • Fr 19.01.2024
    • 20.00 Uhr

    Orchesterkonzert

    Paavo Järvi & Estonian Festival Orchestra

    Zeitinsel

    Ikonen der estnischen Musik widmen sich Landsmann Arvo Pärt

    • Do 15.02.2024
    • 20.00 Uhr

    Chorkonzert

    Arvo Pärt – Spiegel im Spiegel

    Eine musikalische Lebensreise mit Chor und Orchester

    • Fr 16.02.2024
    • 19.00 Uhr

    Orchesterkonzert

    Happy Hour – Klassik um Sieben

    Zeitinsel

    Werke von Pärt, Bach und Schostakowitsch

    • Sa 17.02.2024
    • 18.00 Uhr

    Chorkonzert

    Arvo Pärt – Chor a cappella

    Arvo Pärts musikalische Wurzeln

    • Sa 17.02.2024
    • 21.00 Uhr

    Musik & Dialog

    Salon – Im Gespräch über Arvo Pärt

    Zeitinsel

    • So 18.02.2024
    • 18.00 Uhr

    Kammermusik

    Gidon Kremer Trio – Arvo Pärt & Franz Schubert

    Zeitinsel