Konzerthaus Dortmund

Die die Orchester zähmt

Die Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere werden oft in jungen Jahren gelegt. Das war bei Giedrė Šlekytė nicht anders. Was sie früher im Chor ihres Musikgymnasiums sang, dirigiert sie heute. Puccinis Oper »La bohème« etwa, wie sie »Lrytas«, dem populären litauischen Internetportal, einmal in einem Interview erzählt hat: »Im Jahr 2006 hatte ich die Gelegenheit, die Premiere dieser Produktion im Kongresspalast zu besuchen. Zu dieser Zeit studierte ich an der National M. K. Čiurlionis School of Art. Ich sang im Chor der Schule und für ›La bohème‹ braucht man einen Kinderchor. Neben den jüngeren Schülerinnen und Schülern standen auch wir auf der Bühne – drei fünfzehnjährige Mädchen mit Pelzmützen. Ich erinnere mich noch daran, wie ungeduldig wir vor der Tür des Saals standen. Wir warteten auf unsere Auftritte, und vor allem auf den Walzer der Musetta im zweiten Akt der Oper. Ich erinnere mich auch an den Dirigenten Gintaras Rinkevičius. Und jetzt stehe ich an seiner Stelle und dirigiere ›La bohème‹. Es ist kaum zu glauben, aber es fühlt sich gut an.« 

Bis dahin war es allerdings ein langer Weg, den die energische Dirigentin unbeirrbar gegangen ist, allen Vorbehalten zum Trotz. »Das Frauenthema nervt«, hatte sie einmal freimütig in einem Interview mit den »Salzburger Nachrichten« bekannt, bei dem es natürlich auch um das Thema ging, dass eine Frau am Pult steht: »Meine männlichen Dirigentenkollegen werden zur Musik gefragt, ich muss oft über die Geschlechterfrage reden. Dabei hätte ich auch Lust, über Musik zu sprechen.« Um Musik geht es ja auch bei ihrem Debüt am Konzerthaus, das sie zusammen mit dem Weltklasse-Cellisten Jean-Guihen Queyras und dem SWR Symphonieorchester bestreitet. Auf dem Programm: Romantik pur mit dem Konzert für Violoncello und Orchester von Antonín Dvořák und Alexander von Zemlinskys groß angelegter Orchesterfantasie über »Die Seejungfrau« nach Hans-Christian Andersen. Zwischen Dvořáks Koloss von Solokonzert und der zauberhaften Unterwasserwelt Zemlinskys liegen Welten, aber auch unzählige Klangfarben und -schattierungen, denen sich die Dirigentin widmen wird. 

Giedrė Šlekytė © Thomas Ernst

Mittlerweile lebt die in Vilnius geborene Tochter eines Mathematikers und einer Zahnmedizinerin im österreichischen Klagenfurt, wo Šlekytė [sprich: Schlekíte] nach Studien in Graz, Leipzig und Zürich heimisch geworden ist. Wenn sie nicht Partituren im eigenen Garten studiert, sich für ihr anstrengendes Programm mit einem Workout fit hält oder ihrem Hobby, dem Gärtnern, nachgeht, ist sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf Reisen, das Los einer freischaffenden Künstlerin, die mit den besten Orchestern auf der ganzen Welt auftreten darf. Von besonderer Bedeutung ist für Šlekytė dabei immer der Moment, in dem Orchester und Dirigentin sich kennenlernen. Dann entscheidet sich, ob sie miteinander können oder nicht. »Wenn ich in eine Probe gehe, mache ich mir Gedanken darüber, wie die Beziehung sein wird, ob wir uns gut verstehen werden. Es ist wie eine Begegnung zwischen zwei Menschen. Die Zeit, die ein Dirigent braucht, um ein neues Orchester zu ›zähmen‹, ist sehr unterschiedlich«, so Šlekytė. 

Šlekytė hat eine beeindruckende Karriere für jemanden hingelegt, die eher durch Zufall zur Musik fand. Ihre Schwester sang in einem Kinderchor. Dessen Chorleiterin meinte, dass auch sie eine schöne Stimme habe und empfahl ihr eine musische Schule. So wandelte sich der Berufswunsch von Sängerin über Tänzerin und Journalistin bis zur Dirigentin. Und jetzt? »Kaum eine Generation ist es her, dass Frauen in die Männerdomäne der Spitzenorchester eindrangen, während ihnen die Fähigkeit zum Dirigieren oder Komponieren noch rundweg abgesprochen wurde. Mittlerweile stehen sie zuhauf an den begehrtesten Pulten, eine interessanter als die andere. An Energie, Leidenschaft und Entschlossenheit ragt Giedrė Šlekytė hervor«, schrieb der Berliner »Tagesspiegel« über Šlekytė. 

Darüber hinaus engagiert sich die Dirigentin auch als aktive Botschafterin der Musik ihrer litauischen Heimat und hat Werke von zahlreichen litauischen Komponistinnen und Komponisten (ur)aufgeführt. Hartnäckigkeit und Detailtreue gelten als ihr Markenzeichen, dirigentische Grundtugenden, die in Zeiten des Star- und Namedroppings allzu leicht in Vergessenheit geraten. Die Litauerin haben sie aber an die Pulte der Staatskapelle Berlin, wo sie für Daniel Barenboim bei einer Kanada-Tournee einsprang, und an die Bayerische Staatsoper geführt. Dort ist sie ein ebenso gern gesehener Gast wie beim Bruckner Orchester Linz, dem sie als Erste Gastdirigentin verbunden ist, oder beim NHK Symphony Orchestra, dem Dallas Symphony Orchestra und natürlich auch im Konzerthaus Dortmund. 

    • So 29.06.2025
    • 18.00 Uhr

    Orchesterkonzert

    Jean-Guihen Queyras & SWR Symphonieorchester – Dvořák Cellokonzert

    Giedrė Šlekytė dirigiert spätromantische Sinfonik