Was uns antreibt
Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass Beat Furrer die Musikgeschichte weiterschreibt und -denkt.
Der Schweizer Komponist gilt als einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart. 2018 hat er den »Ernst von Siemens Musikpreis« gewonnen, das ist sozusagen der »Nobelpreis« der klassischen Musik. Furrer wird oft als Klangsammler bezeichnet – eine passende Beschreibung, wie sich im Interview herausstellt. Denn er geht mit offenen Ohren durch die Welt und sammelt Klänge tatsächlich ein, so lang, bis daraus ein Werk entsteht. Wie genau das funktioniert, welche Rolle die Natur dabei spielt und wie er dem Elfenbeinturm-Vorurteil der Neuen Musik begegnet, erklärt er unserer Konzertplanerin Marie-Sünje Schade im Interview.
Beat Furrer, heute bist du einer der großen Komponisten unserer Zeit. Aber wie bist du eigentlich zur Musik gekommen?
Ich habe schon sehr früh eine große Affinität zur Musik gehabt. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass ich mir Klänge vorstellen kann, sie höre und spiele, aber dann auch aufschreiben möchte. Das war lange bevor mir bewusst war, dass das ein Beruf sein könnte.
Kannst du dich an deine erste Platte erinnern?
Meine erste Platte war »A love supreme« von John Coltrane. Diese Art von Improvisation hat mich fasziniert. Sie entfernt sich weit von den Formen des Jazz, geht in Richtung Freejazz. Ich habe, als ich nach Wien gekommen bin, mit einem Schlagzeuger und einem Saxofonisten gespielt. Das war aber plötzlich vorbei, als ich angefangen habe, Komposition zu studieren.
Warum?
Ich hatte das Gefühl, mich im Kreis zu drehen. Ich musste mir erst mal klar machen, was Improvisation eigentlich ist. Improvisation ist nicht möglich ohne ein System von Regeln. Auch da kommt man irgendwann zu einem Formdenken, damit man weiß, was die Finger machen sollen. Das war für mich nicht mehr befriedigend.
Was bedeutet Improvisation denn heute für dich?
Ich würde sagen, die Improvisation war eine Bedingung für die Entwicklung der Offenheit der Form in meinen Kompositionen. Die kommt darin in verschiedener Weise zum Ausdruck. Zum Beispiel als Stimmen, die sich nicht synchronisieren lassen und die sich dominoartig in zwei verschiedenen Zeitlichkeiten nebeneinander entwickeln. Allerdings würde ich zu meiner Arbeit heute eher sagen, dass die Offenheit nur noch reduziert vorhanden ist.
Wie kann man sich deine Arbeit als Komponist vorstellen? Wie entsteht die Musik?
Es ist eigentlich immer so, dass ich erst mal Ideen und Klänge sammle. Die schreibe ich mir in einem Notizbuch auf. Das mache ich so lange, bis ich das Gefühl habe, einen gewissen Raum ab-getastet zu haben. Es ist mir wichtig, Dinge nicht zu früh festzulegen. Ich lasse mir die Form lange offen, ohne harmonisches oder rhythmisches Konzept. Erst wenn ich mir sicher bin, dass ich genug Material habe, kann ich anfangen zu komponieren. Erst dann frage ich mich, wie ich die Klänge zusammensetzen kann und wie ich die Geschichte erzähle. Ich habe dann ein Konvolut von vielleicht zwanzig oder fünfzig Blättern. Und dann kann ich damit jonglieren. Ich beginne auch nicht bei Takt eins, sondern baue um die wesentlichen Ideen herum.
Welche Rolle spielt die Natur in diesem Prozess für dich? Du bist bei deiner Arbeit umgeben von der Natur in den Bergen des Gesäuses.
Im Wesentlichen ist es die Möglichkeit, sich ohne Ablenkung zu konzentrieren. Und es ist ein Klangraum mit einer unfassbaren Vielfalt. Es ist unglaublich inspirierend, sich in diesem Raum zu bewegen. Es ist aber auch ein schwieriges Thema, weil ganz starke Klischees wirksam sind bei der Vorstellung von einem Komponisten in der Natur.
Nervt dich das Thema?
Ja. Denn es besteht die Gefahr, dass der Eindruck des Klischees des Komponisten im Elfenbeinturm bestätigt wird, der nichts von seiner Umwelt wahrhaben will. Ich glaube aber im Gegenteil, dass der Konflikt unserer Zivilisation mit der Zerstörung der Natur etwas ist, das wir nicht mehr übersehen können. Wir leben heute in einer anderen Welt als der, in die ich hineingeboren bin. Denn da war die Hoffnung da, dass sich die Natur immer wieder durchsetzen wird. Aber die Natur ist eine Vielfalt von Geschöpfen. Und das Bewusstsein, dass wir nicht Objekten gegenüberstehen, sondern anderen Geschöpfen und ein Teil dessen sind und abhängig davon, ist wichtig. Flüge zum Mars sind meiner Meinung nach infantil. Wir müssen erst mal auf dieser Erde leben können, auch mit anderen Menschen. Das ist mein Naturverständnis.
Begegnet dir denn oft so ein Elfenbeinturm-Vorwurf?
Ja, zum Beispiel in der Frage, warum ich »dicke« Texte benutzte. Das sei eine vergangene Welt. Aber ich glaube im Gegenteil, dass wir ohne Besinnung und Erinnerung gar nichts produzieren können und nicht fähig wären, kreativ zu sein. Denn Kreativität bedeutet nicht, etwas aus dem Nichts zu schaffen, es ist immer schon etwas anwesend. Gerade im Musiktheater, wenn ich mich mit Texten beschäftige, dann muss es etwas sein, das existenziell berührt. Wie die Texte von Pythagoras, die ich in dem Werk »Akusmata« verwende, das sind wie archäologische Funde, die aber zeitlos sind.
Das passt ja auch zu deiner Oper »Begehren«, der der Mythos von Orpheus zugrunde liegt – eine jahrhundertealte Liebesgeschichte. In deiner Oper geht es um zwei, die sich nicht treffen können. Was ist da das Zeitlose?
Diese Kraft, die uns zum Handeln bringt. Und das Begehren, das uns antreibt, auch zwischen Menschen. Ich nutze in der Oper verschiedene Schichten der Erzählung, aus unterschiedlichen Zeiten von Vergil, Cesare Pavese, Hermann Broch und Günter Eich. Das dann wiederum mit einer Sprache von heute zu kombinieren, hat mich fasziniert. Dass sich da Texte von vor Jahrhunderten mit einer zeitgenössischen Sprache überlagern.
Du kuratierst bei uns ja dein eigenes Festival. Wie blickst du darauf?
Ich glaube am meisten freue ich mich auf den Saal, ich habe schon so viel darüber gehört. Und das ist so wesentlich, denn Musik stellt sich so anders dar in verschiedener Akustik. Und den »Enigma«-Zyklus habe ich noch nie in Gänze gehört. Darauf freue ich mich auch.
Das Interview führte Marie-Sünje Schade.