Ein Lied in allen Dingen

»Deutschlands größte lebende Diseuse« – so wurde Georgette Dee einmal bezeichnet. Seit Anfang der 1980er-Jahre steht sie auf der Bühne und widmet sich unentwegt dem Menschsein. Die Dee singt und erzählt furios von großen Gefühlen auch in kleinen Momenten. Durch ihre Songs wird die Welt neu beleuchtet, das Leben schwer und wieder leicht gemacht. Im Mai 2022 gibt Georgette Dee ihr Debüt im Konzerthaus, begleitet von ihrem langjährigen Weggefährten und Pianisten Terry Truck. Am Telefon sprach sie mit Klaus Wolf-Henrich, Kleinkunst-Connaisseur, langjähriger Fan Dees und Stellvertretender Leiter des Ticketings am Konzerthaus Dortmund, über das Älterwerden, die Zusammenarbeit mit Terry Truck und neue Inspirationsquellen für ihr Programm.

Das Programm »Mensch« war ursprünglich geplant für das langerwartete Konzerthaus-Debüt, musste aber pandemiebedingt verschoben werden. Was darf unser Publikum im Mai erwarten?

Ich denke mal, es wird ein »Schläft ein Lied in allen Dingen«-Programm sein. Denn es war ja nicht nur Corona, sondern Terry wurde auch von der Flut in der Eifel heimgesucht. Das ganze Studio, alle Noten, Instrumente, alles war weg! Deshalb sind wir jetzt erst einmal reduziert in unserem Programm.

Sie haben einmal gesagt: »Die Bühne ist mein Leben«. Wie hat sich die Corona-Pandemie für Sie ausgewirkt?

Nicht gut. Am Anfang hat man noch seine Energie und so ein Durchhalte-Gen. Aber so nach einem dreivier-tel Jahr ist das energetische Grundrauschen, das man als Künstler hat, wenn man immer mit Publikum in Kontakt ist, weggegangen. Denn das ist auch ein Austausch von Energien und Leben. Und wenn das ganz weg ist, war das ein bisschen so, als hätte man die Grundenergie verloren und die hat sich auch noch nicht wieder so richtig eingestellt. Man fühlt sich irgendwie so geleert, aber auf eine ungute Art und Weise. Mal sehen, wie es weitergeht. Ich meine, wir singen wieder und die Energie ist auch wieder da. Aber dieses Level, das man sonst auf Dauer hatte, das man eigentlich gewohnt war und für selbstverständlich genommen hat, das ist irgendwie weg. Das geht vielleicht anderen Künstlern anders, aber das ist für mich an dieser ganzen Pandemie-Situation die unangenehmste Angelegenheit, die es zu bewältigen gilt. 

Was hat sich für Sie in 40 Jahren Show-Business am stärksten verändert?

(lacht) Naja, dass man nicht mehr jung ist. Wenn man jung ist, ist eine ganz andere Energie da und natürlich sind es auch andere Themen, eine völlig andere Lust am Leben. Insofern hat sich für mich viel verändert. Aber ich habe schon immer versucht, bei dem zu bleiben, was jetzt da ist. Ich habe mich mit dem Altern auseinandergesetzt. Ich weiß noch, vor zehn Jahren gab es so eine Phase, da beschwerten sich die Kritiker, dass ich immer so viel vom Altwerden und Sterben rede. Aber ich bin trotzdem dabei geblieben, denn es sind Sachen, die mich beschäftigen. Natürlich bleiben Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen, die Liebe. Aber sich mit über 60 auf die Bühne zu stellen und zu singen »Ficken ist schön« – das ist nicht so prickelnd. Natürlich hat man durch die Lebenserfahrung auf viele Dinge einen anderen Blick. Ich habe zu vielen Dingen auch gar nichts mehr zu sagen, weil ich denke, es ist alles gesagt. Wenn ich dann im Radio neue Songs höre und da geht es um Schmacht und Liebe, könnte ich mich manchmal vor Lachen biegen. Es ist alles mit großem Herzschmerz vorgetragen, aber das ist für mich sehr weit weg. Ich kann für mich immer noch einen Saal mit einem tollen Liebeslied zum Weinen bringen, aber das ist dann auch das Handwerk einer langjährigen Bühnenerfahrung.

Wie viel Autobiografisches liegt in Ihren Werken, gerade in den selbstge-schriebenen Songs und in den Geschichten, die Sie zwischendurch erzählen?

Tja, das kann man gar nicht so auseinanderhalten, denn das Leben wirkt immer auf die Kunst ein. Es sind immer Geschichten, die einen bewegen. Warum sollte man sie sonst erzählen? Ich gehöre nicht zu den Liedermachern, die über andere schreiben. Ich bin immer sehr nah bei meinen eigenen Sachen geblieben. Es gibt talentierte Kollegen, die können sehr schöne Geschichten über Fremdschicksale erzählen, die sie berühren und die berühren. Das habe ich aber eher selten gemacht. Die Geschichten in meinen Liedern haben auch immer irgendetwas mit mir zu tun. Autobiografisch, ja das ist immer so eine schwierige Sache... 

Gibt es ein Ritual vor Ihren Auftritten?

Ruhe. Die letzten 20 Minuten müssen mir gehören. Ich bin gerne ziemlich knapp vorher erst fertig, ich hasse es stundenlang vorher schon vollgeschminkt rumzusitzen. Ich mag es lieber so im Schwung, den letzten Strich im Gesicht lieber so 10 Minuten vor Beginn. 

Die Reunion mit Terry Truck liegt nun auch schon ein paar Jahre zurück, hat sich die Zusammenarbeit verändert?

Ja schon, weil unser persönliches Verhältnis sich nach den zehn Jahren Pause sehr verändert hatte. Und zwar sehr zum Guten. In den 20 Jahren davor, die wir zusammengearbeitet haben, war es eine sehr, sehr intensive künstlerische Zusammenarbeit, aber privat waren dort eigentlich wenige Punkte. Jetzt, in der er-neuten Zusammenarbeit hat sich mehr Freundschaftliches entwickelt, als davor je da war. Und das ist ein sehr schöner Aspekt. Wenn man älter wird und jemand mit einem einen langen Weg gegangen ist, gibt es eine Vertrautheit und auch eine Kenntnis der Macken und der Themen, die man besser nicht anspricht. Das ist einfach ein schönes Gefühl. 

Welche Rolle spielt Terry oder generell ein Begleiter für Sie, wenn Programm entwickelt wird? Geben Sie eher die Impulse?

Das ist verschieden. Aber es gibt immer eine Sammlung an Liedern, bei der ich denke: »Ach, da könnte man mal drauf gucken.« Und dann setzen wir uns zusammen und schauen, was eigentlich gerade so in der Luft liegt. Sicherlich bringe ich materialmäßig erstmal das meiste mit, aber es kommt auch immer wieder einiges von Terry, sowohl verrückte Geschichten als auch Liedvorschläge. Ich habe den großen Vorteil, dass ich seit über 20 Jahren Workshops an der Otto-Falckenberg-Schule in München und auch an der Hochschule in Zürich gebe. Die jungen Studenten bringen immer Lieder mit, die sie gerne machen wollen. Ich nutze so-zusagen einen ganz frischen Quell von jungen Spirits, die in der Musikkiste gewühlt haben. Mir läuft immer mal wieder etwas über den Weg, was ich schön finde. Mit meinen eigenen Texten ist es in den letzten Jahren dünn geworden. Manchmal möchte ich irgendetwas schreiben und denke: »Ach, das haben andere Leute viel besser gesagt, das habe ich schon hunderttausend Mal gehört, was soll das eigentlich?!« Es sei denn, es gibt irgendetwas, das einen wirklich berührt. Oft sind es nur Fragmente und es bleibt dann auch dabei, dass es kein ganzes Lied gibt. Aber hin und wieder schon. Im letzten Jahr habe ich ein sehr schönes Liebeslied geschrieben, das ein Münchner Musikerfreund für mich vertont. Das ist ein tolles Ding geworden. Manchmal gibt es dann doch so Sachen, die wiederkommen. 

Das Interview führte Klaus Wolf-Henrich.