Konzerthaus Dortmund

Mut zum Risiko

Vor dem Konzert gehörte für die Cellistin Julia Hagen früher eine Banane mit Zimt zum Ritual. Heute schläft sie nach Möglichkeit am Nachmittag eine Stunde, um zu entspannen und die Arme zu lockern. Alles einmal runterfahren, dann ist sie fit. Fit genug auch für ein hörbar-Interview, das sie kurz vor ihrem ersten Konzert als »Junge Wilde« noch in ihre Vorbereitung schieben konnte.

Liebe Frau Hagen, wie geht es Ihrem Ruggieri-Cello aus dem Jahr 1684? Es soll einen Riss gehabt haben? 
Es hatte tatsächlich mehrere Risse. Schon bevor ich das Cello bekommen habe, vor elf Jahren, war es rund ein Jahr lang in Restauration, weil es komplett zerstört war. Faszinierend, wie man das heutzutage wieder alles zusammenflicken und herrichten kann. Ich hatte dann das große Glück, dass mein Vater ein hervorragendes Cello zu Hause hatte, mit dem ich mich für sechs Monate sehr wohl gefühlt habe. Ich war aber trotzdem sehr glücklich, als ich dann mein Cello wieder abholen konnte. Zuerst habe ich gedacht: O Gott, das klingt jetzt wirklich gar nicht mehr so, wie ich es in Erinnerung habe. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich wieder an das Instrument zu gewöhnen. Doch jetzt klingt es fantastisch, besser als vorher.

Ihr Vater Clemens Hagen ist Mitbegründer des berühmten Hagen Quartetts. Sie musizieren mit ihm im Dezember auch im Konzerthaus, in Schönbergs Streichsextett »Verklärte Nacht«.
Das ist ein bunt durchmischtes Kammermusikprojekt, auch im Streichquartett op. 33 von Hermann Graedener spielt mein Vater mit. Ich bin gespannt, ich habe noch nie ein Werk von diesem Komponisten gehört. Und dann das Streichquintett Nr. 1 von Brahms, also ich glaube, da freut sich nicht nur das Publikum. Mein Vater und ich haben übrigens auch schon Duo-Abende gemacht. Es gab da schon verschiedene Konstellationen. Mit ihm zu musizieren ist immer schön, weil wir eine doch sehr ähnliche Vorstellung von Musik haben. 

Es gibt da diese schöne Geschichte, dass Sie sich als Kind in seinem Cello-Kasten versteckt haben. Ist sie wahr?
Ja, die ist nicht ausgedacht. Als Kind war mir das alles nicht so bewusst. Ich fand immer die Frage spannend, die mir von anderen Cellisten gestellt wurde: Wie ist es, einen solch berühmten Musiker zum Vater zu haben? Na ja, ich habe gesagt: Ich habe nur einen, das ist ganz normal. Ich hatte eben einen spielerischen Zugang zum Cello. Man darf beim Üben sitzen, man muss nicht stehen wie bei der Geige. Und man kann das Instrument umarmen.  

Salzburg ist Ihr Geburtsort. Mozart hat oft auf die Stadt geschimpft. Wie steht’s mit Ihnen?
Ich würde dort zwar im Moment nicht wohnen wollen, weil es mir als dauerhaftes Zuhause zu klein wäre. Aber meine Eltern wohnen in Salzburg und ich bin den ganzen Sommer dort, wenn ich nicht spiele und nicht im Urlaub bin. Ich bin eine der wenigen Salzburgerinnen, die es mag, wenn im Sommer viel los ist während der »Salzburger Festspiele«.

Sie sind von Salzburg nach Wien gegangen, dann nach Berlin und später wieder nach Wien zurückgekehrt, wo sie heute wohnen. Eine Stadt, von der sie nicht lassen können?
Ja, tatsächlich, und das, obwohl ich damals während des Studiums dort nicht so wirklich angekommen bin. Ich war 18 und fand die Universität und die Leute sehr verschlossen. Es war einfach nicht so herzlich. Und auch mit meinem Lehrer Heinrich Schiff war es nicht ganz so einfach. Da habe ich mich eben nach zwei Jahren dazu entschlossen, Wien zu verlassen und mir geschworen, ich gehe nie wieder zurück. Hat nicht geklappt! Aber auch Berlin war dann wahnsinnig wichtig für mich. Es ist so eine Riesenstadt und trotzdem ist die Musiker-Bubble klein. Nach zwei Wochen hatte ich das Gefühl, man kennt jeden.

Sie kommen im Dezember ins Konzerthaus mit dem hr-Sinfonie-orchester und dem berühmten Cellokonzert von Edward Elgar. Wie ist ihr Verhältnis zu diesem Stück?
Das ist tatsächlich eines der Konzerte, die mich schon als Kind beschäftigt haben. Von meinen Großeltern habe ich damals ein paar CDs bekommen. Auf einer hat Jacqueline du Pré Elgar gespielt. Wie sie das gemacht hat, so leidenschaftlich und ausdrucksvoll! Das Konzert geht einfach unter die Haut. Und ich habe auf jeden Fall noch einen sehr frischen Zugang dazu, weil ich noch viel entdecke und dazulerne auf der Bühne. Der Notentext ist schon sehr genau, und es gibt so viele spieltechnische Traditionen in diesem Werk. Wenn ich jetzt nur den Notentext lesen würde ohne diese Traditionen zu kennen, würde ich das Stück wahrscheinlich oft anders spielen. Da finde ich es immer spannend, eine Mischung zu finden: Wie viele Freiheiten darf man sich herausnehmen und was ist noch im Sinne des Komponisten? Man muss zu einer persönlichen Lösung kommen. Und jedes Mal wird es sich anders anfühlen.

Ist das Ihre erste Zusammenarbeit mit dem hr-Sinfonieorchester? 
Ja, und auch meine erste Arbeit mit Alain Altinoglu, darauf freue ich mich schon sehr. Für mich ist es aufregend, mit all diesen unglaublichen Orchestern zu arbeiten. Ich hätte mir früher nie träumen lassen, dass das einmal mein Alltag sein würde.

Was gefällt ihnen an der Konzertreihe »Junge Wilde« besonders?
Das Schöne ist, dass man drei Saisons lang Zeit hat und dabei so viele verschiedene Facetten von sich zeigen kann. Das Recital, den Elgar, die Kammermusik. Ich könnte mir später auch etwas vorstellen, was man sonst nicht macht, etwas Verrücktes. Da nehme ich mir dann Zeit und tobe mich aus. Dieses Konzerthaus ist – das finde ich so schön – offen für alles, was man gerne ausprobieren würde. Und ich finde es gut, dass wir Musikerinnen und Musiker da aus der Reserve gelockt werden.

Wobei wir bei einer Eigenschaft wären, die Ihnen immer wieder zugeschrieben wird: Mut zum Risiko.
Mir ist am wichtigsten, beim Spielen sozusagen keine Maske zu tragen. Ich sehe immer wieder Kolleginnen und Kollegen, bei denen ich das Gefühl habe, sie liefern eine von vorn bis hinten perfekt gemachte Inszenierung ab. Aber das berührt mich persönlich einfach nicht. Sich angreifbar zu machen und verletzlich, das ist für mich vielleicht das größte Risiko.

Das Interview führte Markus Bruderreck.

    • Mi 04.12.2024
    • 19.30 Uhr

    Kammermusik

    Verklärte Nacht – Ein Abend für sechs Streicher

    Werke von Brahms, Schönberg und Grädener

    • Do 19.12.2024
    • 19.30 Uhr

    Orchesterkonzert

    Julia Hagen & hr-Sinfonieorchester – Elgar Cellokonzert

    Alain Altinoglu dirigiert Rimsky-Korsakows »Scheherazade«