»Youkali« – das klingt nach Fernweh, nach Sehnsucht, nach einem Ort jenseits der Wirklichkeit. Das Stück des Komponisten Kurt Weill ist Namensgeber des aktuellen Konzertabends von Vladimir Korneev. Und für den Sänger und Schauspieler ist »Youkali« viel mehr als ein Titel. Es ist ein sehr persönliches Sinnbild für Hoffnung – und für Heimat. Im Gespräch erzählt der 38-Jährige, wie eng seine Lebensgeschichte mit dem Weill-Chanson verbunden ist, wie das Klavier für ihn schon früh zu einem Rettungsanker wurde und warum Schauspiel und Gesang im Chanson für ihn untrennbar miteinander verbunden sind.
Als Sie fünf Jahre alt waren, sind Ihre Eltern mit Ihnen vor dem Krieg in Georgien nach Deutschland geflohen. Dort haben Sie gelernt, Klavier zu spielen – in einem Land, dessen Sprache nicht die Ihre war: War die Musik eine Ausdrucksform, die diese Sprachlosigkeit ein Stück weit aufgehoben hat?
Ich war tatsächlich sprachlos. Und nicht nur wegen der neuen Sprache: Ich habe bis zu meinem 17. Lebensjahr massiv gestottert. Es gab Momente als Kind, da wollte ich nicht mehr aufwachen – weil ich nicht in die Schule wollte. Ich habe mich so geschämt. Das Klavier war für mich eine riesengroße Rettung. Ich habe in den Stücken ausgedrückt, wie es mir gerade ging – in der Schule oder mit dem Stottern. Ich habe da alles reingepackt, was ich fühlte, regelrecht in die Musik hineingespielt.
Im Chanson schwingt auch viel Innerlichkeit und Gefühl mit: War dieses frühe, sehr emotionale Musizieren wie ein Wegbereiter hin zum Chanson?
Ich mochte damals vor allem die Romantiker, also Chopin oder Rachmaninow – da durfte ich die Melodiebögen mehr ausgestalten und es war nicht so streng wie bei Bach. Und ich hatte mit Janina Raisowa und Veronika Leshinskaya zwei tolle Lehrerinnen. Sie haben mich bei jedem Melodiebogen gefragt: Was denkst du dir dabei? Was möchte die Melodie sagen? Überlege dir einen Text dazu. Das war damals wie eine unbewusste Vorbereitung aufs Chanson.
Schon während Ihrer Ausbildung standen Sie als Jazz- und Chansonsänger auf der Bühne. Ihre Solo-Programme widmen Sie unter anderem Werken von Edith Piaf oder eben Kurt Weill. Was fasziniert Sie am Genre Chanson?
Ein Chanson ist wie ein Hollywood-Film und eine Oper in drei Minuten. In drei Strophen kann man die ganze Welt eines Menschen erzählen. Jedes Wort, jeder Ton ist da anders gewählt. Dennoch sind es teils sehr eingängige Melodien, die es leichter machen, sich damit zu verbinden. Nur mache ich sie dann schon manchmal komplexer (lacht). Das Chanson gibt mir eine ganz besondere Freiheit. Ich singe zwar Piaf oder Weill und habe sehr großen Respekt vor dem Original – aber ich verändere die Arrangements immer der Szene nach.
Sie sind ja nicht allein Sänger, sondern auch Schauspieler: Wo beginnt im Chanson für Sie das Schauspiel?
Ich kann Schauspiel und Gesang nicht trennen. Wenn ich ein Lied singe, bin ich in dem Moment. Ich interpretiere das, was gerade im Text passiert und versuche, es möglichst ehrlich durch meine Stimme durchzulassen.
Kurt Weill schrieb »Youkali« im französischen Exil. Das Stück erzählt von einer imaginären Insel, einem Sehnsuchtsort als Inbegriff für Hoffnung und Frieden. Wie haben Sie sich diesem Werk angenähert?
Ich lasse mich von der Melodie treiben. Ich habe mir natürlich unterschiedliche Versionen angehört. Es ist schön und auch spannend zu hören, wie andere Künstler »Youkali« interpretieren. Ich fand die Version von Teresa Stratas total cool, weil sie so klassisch war. Barbara Hannigan, Ute Lemper – das sind ganz andere Versionen. Ich persönlich wollte es sehr existentiell machen, schauspielerisch existentiell. Aber auch vom Gesang her flexibel und ausdrucksstark.

»Youkali« ist auch der Titel Ihres aktuellen Programms. Was hat Sie an diesem Stück so sehr berührt, dass Sie einen Konzertabend danach benannt haben?
Das hat sehr persönliche Gründe. Als wir Georgien verlassen mussten, war unter den wenigen Sachen, die meine Eltern mitnehmen konnten, ein Ölbild. Ein kleines Ölbild, das ein Segelboot vor der Küste von Georgien zeigt. Das Bild hat uns die ganze Zeit begleitet – vom Auffanglager bis zur ersten Wohnung in Augsburg. Und ich habe dieses Bild sehr, sehr oft angeschaut und mich auf dieses Segelboot geträumt. Als ich dann »Youkali« mit Mitte 20 zum ersten Mal gehört habe, hat es mich so an dieses Bild erinnert und daran, dass wir alle diesen einen Sehnsuchtsort in uns haben. Einen Ort, den wir auch in unserem Herzen schaffen können. Wo immer wir sind.
Bedeutet das, dass Sie in diesem Konzert das Publikum einladen, ihr persönliches »Youkali« zu entdecken?
Ziel meiner Konzerte ist es tatsächlich, genauso einen Ort für das Publikum zu kreieren. So, dass jeder einfach ankommen darf. Dass jeder seine eigenen Geschichten in meinen Interpretationen finden kann, weil ich den Platz dafür lasse.
Auf dem Programm des Kurt-Weill-Abends steht auch ein Stück von Ihnen…
Das stimmt. »Wintereinbruch« habe ich komponiert, der Text ist von Carsten Golbeck. Es ist ein politisches Lied und von Kurt Weill inspiriert, das hört man auch an der Melodie. Ich hatte Weill im Kopf, als ich es geschrieben habe. Das war zu einer Zeit, in der autoritäre Stimmen in Europa immer lauter wurden. Eine Zeile lautet: »Gib mir deine Hand, dass wir uns nicht trennen, wenn braune Winde rund um uns wehen, wenn Kälte und Eis unsere Herzen verbrennen, dann halt’ ich dich fest, bis wir Frühling sehen.« Das ist so unfassbar aktuell. Ich denke, dass der Kurt-Weill-Abend deswegen sehr wichtig ist – weil es da auch so viele Parallelen zur heutigen Zeit gibt.
Wie reagieren Ihre Zuhörerinnen und Zuhörer auf »Youkali«? Gibt es Rückmeldungen, die Sie besonders bewegen?
Die Leute sind schon sehr gepackt davon – auch von der Aktualität. Das erlebe ich immer wieder. Sehr viele Menschen sagen mir, dass sie sehr berührt sind. Und das ist, glaube ich, das schönste, beste, liebste Kompliment für mich: Wenn ich jemanden tief berühren kann, dann bin ich schon glücklich.
Text: Corinna Ludwig
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- Vladimir Korneev Gesang
- Markus Syperek Klavier
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