So viele Farben

Der israelische Dirigent Lahav Shani ist der neue Exklusivkünstler am Konzerthaus Dortmund.

Schon in der ersten Saison stellt er seine Doppelbegabung unter Beweis: als Kammermusiker und als Dirigent großer Romantik am Pult seines Rotterdam Philharmonic Orchestra.

Lahav Shani © Marco Borggreve

Zigarren sind seine Schwäche. Lahav Shani gibt ihr gerne nach. Mit Mentor und Förderer Daniel Barenboim zum Beispiel, der für blauen Dunst dieser Art ebenfalls empfänglich ist. Oder mit seinem Freund, dem Geiger Renaud Capuçon. Ansonsten aber geht nichts in Rauch auf oder verfliegt allzu schnell. Schon gar nicht die Erinnerung an Konzertabende mit Lahav Shani, die lange im Gedächtnis bleiben. Er gehört zu einer jungen Generation von Dirigentinnen und Dirigenten, die in den letzten Jahren die Karriereleiter steil hinaufgeklettert sind. Mit Ende zwanzig in Spitzenpositionen, das wäre noch vor nicht allzu langer Zeit unmöglich gewesen. Und so hat sich auch Shani schon kneifen müssen, als er 2019 dazu auserkoren wurde, Zubin Mehta nach fünfzig (!) Jahren am Pult des Israel Philharmonic Orchestra als Chefdirigent abzulösen. »Ich habe nicht mal davon geträumt, ich dachte immer, das wäre unmöglich.«

Lahav Shani dirigiert nicht nur, er spielt auch konzertreif Klavier. Noch bevor er sprechen kann, lernt er das Instrument intuitiv. Die Familie ist durch und durch musikalisch, da sind die Weichen gleich richtig gestellt. Manchmal übt er nicht gerne, aber sein Klavierunterricht ist exzellent. Für den Kontrabass interessiert sich Shani damals auch, er spielt das Instrument im Orchester. Mit Dirigent Zubin Mehta und dem Israel Philharmonic Orchestra tourt er durch Asien und lernt dabei, was ein Orchestermusiker denkt und wie der Alltag funktioniert. »Ich kann mir nicht vorstellen, was für ein Dirigent ich gewesen wäre ohne diese Erfahrung. Ich finde es entscheidend, zumindest ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist, in einem Orchester zu spielen.« In den Proben sperrt Lahav Shani die Ohren auf und darf auch ans Pult. Mehta möchte ihn zum Dirigierstudium nach Wien schicken, doch Shani liebäugelt eher mit der Spree. »Ich war mehrfach in Berlin gewesen und hatte ein gutes Gefühl.« Zum fünfjährigen Studium geht es an die Hochschule für Musik Hanns Eisler. In Berlin begegnet er auch seinem zweiten großen Mentor und Förderer. »Daniel Barenboim habe ich kennengelernt, als ich eine Freundin bei einem Probespiel begleitete. Er hatte bereits etwas über mich gehört, sagte mir, seine Tür stehe immer offen, wenn ich zu den Proben kommen will. Ich bin natürlich sofort hingegangen.«

Im Jahr 2013 gewinnt Lahav Shani den »Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb« in Bamberg. Das kataputiert ihn an die Pulte renommierter Orchester. Im Jahr 2018 nimmt seine Karriere richtig Fahrt auf. Shani wird zuerst Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra, dann zwei Jahre später will man ihn in Tel Aviv. Auf beiden Positionen ist er der jüngste Chefdirigent, den es je in der Geschichte dieser Orchester gegeben hat. Seine musikalischen Ziele? »Das Rotterdam Philharmonic ist in einem fantastischen Zustand, das möchte ich bewahren.« Beim Israel Philharmonic Orchestra möchte Shani behutsam modernisieren und auch arabische Musiker ins Boot holen. »Ich kenne einige fantastische israelisch-arabische Musiker. Einige davon leben in Berlin und studieren an der Barenboim-Said-Akademie.« Mit all dem ist Shani jetzt voll ausgelastet. »Man hat weniger Zeit für sich selbst. Auch die muss ich jetzt planen. Das ist natürlich ein großer Druck, aber manchmal, Gott sei Dank, schaffe ich es noch, im Moment. Ansonsten bin ich sehr glücklich, dass ich mit solchen Musikern arbeiten und musizieren darf.«

In seiner ersten Saison am Konzerthaus wird Lahav Shani gleich zwei Mal auf die Pianistinnen-Legende Martha Argerich treffen. Er plaudert mit Intendant Raphael von Hoensbroech und stellt seine Mahler-Expertise unter Beweis. Und schon am ersten Tag kann man ihn bereits sowohl als Dirigenten als auch als Pianisten bewundern. Als Kammermusiker übernimmt er die Klavierparts in zwei Trios. Das erste ist das Horntrio op. 40 von Johannes Brahms, komponiert in Baden-Baden im Sommer 1865, fernab aller Roulettetische und der feinen Kurgesellschaft. Brahms residiert bescheiden am nahen Wald, durch den er morgens gerne spaziert. Natürlich fliegen ihm hier die musikalischen Themen nur so zu. Das Horn ist in seiner Musik ein Sinnbild für den Ruf der Natur, wie er auch im Finale von Brahms’ Sinfonie Nr. 1 erklingt. Lahav Shani dirigiert sie im zweiten Konzert dieses Sonntages im Konzerthaus. Das zweite Trio, das »Dumky«-Trio von Antonín Dvořák, ist eher eine Suite von sechs ukrainischen Tänzen, so genannter Dumkas, die sich mal ausgelassen, mal schwermütig in diesem Werk abwechseln. Aus Dvořáks Feder stammt auch das Violinkonzert, dem sich am Abend die amerikanische Stargeigerin Hilary Hahn widmen wird. Sinfonisch komponiert, verlangt es einen besonders langen Atem, viel Kraft und große Virtuosität. Jörg Widmann rundet das Konzertpro-gramm mit seiner von Beethoven inspirierten Konzertouvertüre »Con brio« ab.

Lahav Shani © Marco Borggreve

Die Arbeit mit seinen Orchestern ist für Lahav Shani vor allem ein kommunikativer Akt. »Ich erreiche die besten Ergebnisse nur durch Überzeugung, nicht dadurch, dass ich alles ansage«, betont er. Wenn diese Verständigung gelingt, passiert etwas Magisches. »Es ist die Energie, das Gefühl, dass so viele Musiker zur selben Zeit spielen, dasselbe fühlen, dieselben emotionalen Impulse bekommen, dieselbe Klangvision teilen. Dieses Gemeinschaftsgefühl macht Musik erst wirklich einzigartig.« Seine zwei Begabungen zu handhaben und zu pflegen ist nicht immer einfach. Daniel Barenboim hat Shani den Rat gegeben, das Klavier nie zu vernachlässigen. Darauf verzichten möchte Shani sowieso nicht. Doch er vermisst das Orchester schon, wenn er am Flügel Platz nimmt. »Das Klavier ist ein neutrales Instrument, ob-wohl man damit natürlich auch die Illusion verschiedener orchestraler Klänge erschaffen kann. Man versucht damit, das Orchester zu imitieren. Das allerdings kann so viele Farben hervorbringen… ein Pianist könnte da einfach im Leben nicht heranreichen.«