Lucas und Arthur Jussen stehen mit strenger Miene hinter einem Flügel.
Lucas & Arthur Jussen © Marco Borggreve

Zu zweit eine Einheit

Sie wirken ungemein geerdet und haben die Musikwelt in einer Disziplin erobert, die ihren ersten Höhepunkt im 19. Jahrhundert erlebt hat: Die Brüder Jussen sind heute ein Weltklasse-Duo am Klavier.

Eigentlich unmöglich! Doch wenn man die beiden Brüder Lucas und Arthur Jussen am Klavier erlebt, ist es, »als würde man zwei BMW gleichzeitig fahren«. Das behauptet zumindest, tief beeindruckt von ihren musikalischen Fähigkeiten, der Dirigent Michael Schønwandt. Die Jussen-Brüder sind zwei Stürmer und Dränger, die durch subtilen Anschlag, rhythmische Präzision und orchestrale Klavierbehandlung ihr Publikum zu fesseln wissen. »Wir ergänzen uns einfach super als Duo auf der Bühne«, sagt Lucas. »Das ist unsere Stärke und unterscheidet uns von vielen anderen Pianisten.« Beide Brüder, die so zwillingshaft erscheinen und so symbiotisch in die Tasten greifen, blicken auf eine völlig normale Jugend zurück: »Es gab keine Sachen, die unsere Freunde gemacht haben und wir nicht – mit dem Unterschied, dass wir eben auch noch Musik gemacht haben.« Schon im Elternhaus in Hilversum drehte sich alles um Musik, der Vater spielte Pauke, die Mutter unterrichtete Querflöte. Doch das Aha-Erlebnis kam für den älteren der beiden Brüder während der Fußball-WM 1998. Damals spielten die Holländer im Halbfinale gegen Brasilien. Lucas hatte vor jeder Partie die Nationalhymne »Het Wilhelmus« gehört. »Die Melodie wollte mir nicht mehr aus dem Kopf, und so begann ich, sie auf dem Klavier zu spielen.« Arthur, drei Jahre jünger, zog irgendwann nach. Inzwischen haben sich die Jussen-Brüder nach unterschiedlichen Ausbildungswegen, darunter bei Koryphäen wie Menahem Pressler, Dmitri Bashkirov und Maria João Pires, in der internationalen Spitzenklasse etabliert – als Solisten und als Klavierduo.  

Künstlerische Doppelbelichtung von Lucas und Arthur Jussen, die mit dynamischen Überlagerungen und Klavierdetails einen modernen, energetischen Eindruck vermittelt.

Das Duo-Spiel ist eine Disziplin, die nicht automatisch das Ergebnis zweier guter Einzel-Pianisten ist. Sie erfordert mehr als Fingerfertigkeit, genaues Timing und Balance. Ihren ersten Höhepunkt erlebt das vierhändige Klavierspiel im 19. Jahrhundert: »An der Haustür angelangt, war es uns, als könnten wir nicht so scheiden. Fast schüchtern regte uns die Frage, ob wir nicht ein wenig Musik machen sollten? […] Es verstand sich von selbst, dass mit vierhändigem Spiel der Anfang gemacht wurde. Ist es doch die intimste, die bequemste und in ihrer Begrenzung vollständigste Form häuslichen Musizierens.« So berichtet Wiens berühmtester Musikkritiker Eduard Hanslick 1866 in seinem Beitrag »Waffenruhe am Klavier«. Das vierhändige Klavierspiel gilt, nicht nur für ihn, als eine Idealform häuslichen Musizierens. Seit Beethoven ist das Klavier zu einem maßgeblichen Faktor des allgemeinen Kulturlebens geworden – nicht nur im Kreise höherer Töchter. Im Zeitalter vor der technischen Reproduzierbarkeit von Musik dienen vor allem Klavier-Duo-Bearbeitungen von Opern, Sinfonien, Konzerten etc. kundigen Musikliebhaberinnen und -liebhabern dazu, sich mit den großen Werken am häuslichen Instrument vertraut zu machen.  

»Es gibt so viele Leute, die 4händig spielen u. geradezu einen Heißhunger haben auch neue Erscheinungen kennen zu lernen«, schreibt Max Reger 1896, der etliche Werke von Johann Sebastian Bach für Klavier-Duo bearbeitet hat. Um diese Zeit floriert die Musik für Klavier zu vier Händen bzw. für zwei Klaviere auch in Frankreich: Bizet, Saint-Saëns, Debussy, Ravel und weitere namhafte Komponisten haben das Repertoire bereichert. Zu ihnen zählt auch Francis Poulenc, Mitglied der Groupe des six, die in der Pariser Musikszene der 1920er-Jahre eine große Attraktion bildet. Unkonventionell und ideenreich, steht diese Gruppe für eine musikalische Mixtur aus Spaß, Ironie und Provokation. Auch Poulencs Konzert für zwei Klaviere lebt von großer Vielseitigkeit: leicht und voll Finesse, mal raffiniert, mal schlicht, mal tänzerisch, mal düster. »Das Werk steht für typische französische Flamboyance«, erklärt Lucas Jussen, »es bleibt immer chic«. Sein Bruder Arthur ergänzt: »Das Stück ist eine große Collage aus vielen verschiedenen Stilen. Das gibt dem Stück seine besondere Kraft.« »Gleichzeitig liegt darin die besondere Herausforderung, um aus den vielen Elementen ein durchgängiges Stück zu formen«, so Lucas. »Aber Poulenc hat da Hervorragendes geleistet und macht es uns als Interpreten leichter.« Und Arthur fügt hinzu: »Selbst wenn er im langsamen Satz Mozart zitiert, bleibt es immer ureigenster Poulenc.« So wie sie sich im Gespräch ergänzen, so bilden die beiden Brüder auch am Klavier eine Einheit, egal ob an einem Instrument oder, wie bei Poulenc, an zweien. Allerdings: »Auch wenn wir eine Einheit bilden«, meint Lucas, »so bewahren wir beide unsere eigene Stimme«. 

Text: Christoph Vratz

    • Sa 29.11.2025
    • 19.30 Uhr
    Die Brüder Lucas und Artur Jussen in schwarzen Rollkragenpullis und identischen Hosen sitzen zusammen auf einem schwarzen Hocker

    Orchesterkonzert

    Lucas und Arthur Jussen & Münchner Philharmoniker

    Tugan Sokhiev dirigiert Poulencs Doppelkonzert und Tschaikowsky