Konzerthaus Dortmund

Unter Strom

Die Qualität des Videos ist nicht besonders gut. Das Bild ist unscharf, ein paar Streifen laufen durch. Ein kleiner Junge stakst auf die Bühne und betritt das Podium. Smoking und Taktstock sind noch etwas zu groß. Das Band hält Anfang dieses Jahrhunderts einen von Maxim Emelyanychevs ersten Gehversuchen als Dirigent fest. 

Dirigieren ist für den 1988 geborenen Maxim Emelyanychev aus Nischni Nowgorod schon vor seinem Debüt mit 12 Jahren eine Selbstverständlichkeit: »Die Musik steckt mir im Blut. Als ich zur Schule ging, wusste ich schon, was ein F-Horn ist oder eine Klarinette in B.« Das liegt natürlich daran, dass Emelyanychev aus einer musikalischen Familie stammt. Doch Talent ist nicht alles. Neben den vielen Einladungen zum Dirigieren, die Emelyanychev schon bald danach erhält, gehört natürlich auch eine solide Ausbildung. Zunächst nimmt er Unterricht am heimischen Konservatorium in Nischni Nowgorod, dann am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau. In seiner steilen Karriere hat es Zeiten, Ereignisse und Persönlichkeiten gegeben, die ihn nachhaltig geprägt haben. Als erstes zu nennen ist sein berühmter Dirigierlehrer Gennadi Rozhdestvensky. »Es war einfach wunderbar, bei solch einem Meister zu studieren. Ich hatte Glück, weil ich sechs Jahre als Begleitpianist in seiner Klasse gearbeitet habe. Das war eine fundamentale Schule für mich.« Dass Maxim Emelyanychev heute Ensembles für Alte Musik leitet und sich in dieser Ästhetik zu Hause fühlt, hat er einem anderen Menschen zu verdanken: Anatoly Levin. »Er führte mich ein in die historische Aufführungspraxis. Das hat mein gesamtes Verständnis von Musik völlig verändert. Ich habe angefangen, alte Instrumente zu studieren und habe realisiert, dass manche von ihnen spezielle Spieltechniken verlangen und dass sie ihre eigene Rhetorik besitzen.«

Maxim Emelyanychev © Elena Belova

Ereignisse, die prägen – das sind vielleicht weniger die internationalen Wettbewerbe gewesen, die Emelyanychev gewonnen hat, sondern eher seine Arbeit mit Dirigent Teodor Currentzis. In der Oper in Perm sitzt er 2013 am Cembalo und begleitet Mozarts »Hochzeit des Figaro«. Das macht er so gut, dass er dafür gleich einen Preis erhält. Der 25-Jährige wird im selben Jahr gleich Chef zweier Orchester, des Ensembles Il Pomo d’Oro und des Nizhny-Novgorod Soloists Chamber Orchestra. Seitdem tourt der Dirigent mit den blauen Augen und den Sommersprossen (die lustigerweise auf Fotos manchmal verschwunden sind) durch die Lande. Im Frühling des Jahres 2018 öffnet sich dann eine weitere Karriere-Tür: Beim Scottish Chamber Orchestra fällt der Chefdirigent aus. Man sucht kurzfristig einen Interpreten für Franz Schuberts Sinfonie Nr. 9. »Das ist ein Last-Minute-Angebot gewesen. Zum Glück hatte ich keine anderen Engagements damals. Es hat sofort Klick gemacht im Orchester und sich angefühlt, als würden wir einfach so Musik zusammen machen. Ein ungewohntes Gefühl, weil gemeinsame Proben meist harte Arbeit sind. Doch hier ist alles wie von selbst gegangen.« Das Orchester nimmt Emelyanychev damals für 2019 gleich unter Vertrag.

Mit seinem Ensemble Il Pomo D’Oro hat er viele Sängerinnen und Sänger begleitet, zum Beispiel Joyce DiDonato. Er ist aber nicht nur auf Alte Musik spezialisiert. Zeitgenössisches gehört oft zu seinen Programmen dazu, wie jetzt auch im Konzerthaus. Nach Dortmund bringt er Pavel Karamanovs »GreenDNK« mit, eine musikalische Hommage an die ukrainische Geigerin Tatjana Grindenko. Die von der Minimal Music inspirierte Musik passt gut zu den übrigen Werken, die das B’Rock Orchestra spielt. Das Ensemble aus Belgien ist Teil einer neuen Ensemble-Generation, die erfahren ist, wenn es um Altes geht, und höchst aufgeschlossen, wenn Experimente anstehen. Alfred Schnittkes Suite im alten Stil repräsentiert diese Mixtur zwischen Alt und Neu. Schnittke ist von Barockmusik fasziniert gewesen und treibt hier ein doppelbödiges, ironisches Spiel mit der Vergangenheit. »Alte Musik geht gut mit modernen, zeitgenössischen Stücken zusammen«, meint Emelyanychev. »Das Ausschlaggebende ist, das musikalische Programm so zu arrangieren, dass die Ästhetik, die Klangstärke, der Charakter und die Struktur der Stücke aus unterschiedlichen musikalischen Epochen ungefähr überlappen.« Auch das Violinkonzert von Robert Schumann mit seiner bewegten Geschichte fügt sich ein in dieses Konzept. 

Maxim Emelyanychev kann einfach gut umgehen mit seinen Musikerinnen und Musikern. Vielleicht, weil er ein Orchester nicht als anonyme Masse ansieht, die es zu formen oder gar zu erziehen gilt. »Ein Orchester ist wie eine kleine Kammermusikgruppe. Wie eine Familie.« Und wie er selbst haben alle Mitglieder dieser Familie stets dasselbe Ziel: »Man muss das Publikum und das Orchester elektrisieren. Das ist es, wofür wir proben und leben.«

    • So 16.04.2023
    • 16.00 Uhr

    Orchesterkonzert

    Vilde Frang – Schumann Violinkonzert

    Maxim Emelyanychev dirigiert das B’Rock Orchestra