Ohne Klavier sei sie ohne eigene Stimme, sagt Yulianna Avdeeva. Denn ein Flügel besitzt unterschiedliche Charaktere, »ein wenig wie Menschen«. Daher ist das Klavier für sie das ideale Ausdrucksmedium, manchmal noch eher als die Sprache.
Nicht immer läuft alles wie geschmiert. Vor allem im Sport. In solch kritischen Momenten sind meist die Trainer gefragt. Sie können nicht alle Probleme lösen, aber ihren Schützlingen eine mögliche Marschroute vorgeben, wenn Wehrhaftigkeit gefragt ist, mental wie physisch. Häufig fällt dann der Begriff von der Resilienz. In der Musik wird dieser Begriff eher selten zum Thema. Dabei gibt es durchaus Schnittmengen zwischen Sport und Kunst: eine positive Grundeinstellung als möglicher Erfolgsfaktor etwa, oder geistige und körperliche Belastbarkeit. Dennoch wirkte es ein wenig überraschend, als die Pianistin Yulianna Avdeeva vor gut einem Jahr ein Album mit dem Titel »Resilience« veröffentlicht hat. Es war auch und nicht zuletzt ein Ergebnis der vorausgegangenen Corona-Erfahrungen. Doch bei Avdeeva besitzt der Begriff Resilienz in erster Linie eine historische Komponente. Er bezieht sich auf die Entstehungsumstände der Stücke, die sie ausgewählt hat. Etwa auf die Musik von Władysław Szpilman, von dem sie auch bei ihrem Klavierabend im Konzerthaus Dortmund zwei Werke präsentieren wird. Am 23. September 1939 war Szpilman der Protagonist im letzten Live-Konzert des polnischen Rundfunks, während draußen schon die deutschen Bomben niederprasselten. Szpilman, der erst 2002 durch Roman Polanksis Film »Der Pianist« einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist, hat das, was wir heute Resilienz nennen, oft in seinem Leben beweisen müssen – wie so viele bekannte oder weniger bekannte Musikerinnen und Musiker vor ihm und nach ihm.
Und was bedeutet Resilienz nun für Yulianna Avdeeva selbst? In einem Rundfunk-Interview hat sie dazu Stellung bezogen: »Für mich ist Resilienz nicht nur eine Anweisung an das alltägliche Leben, sondern auch eine Charaktereigenschaft, die sich in der Haltung eines Menschen zeigt. Gerade wenn es unkomfortabel und ungemütlich wird, also in einer Lage, die viel Kraft und eine starke innere Haltung verlangt, um zu überleben und sich als Mensch weiter treu zu bleiben.« Diese Qualitäten waren für sie bereits gefragt, als sie sich im Jahr 2010 der Konkurrenz beim berühmten Warschauer »Chopin-Wettbewerb« stellte – und Avdeeva, die sich mehr oder weniger spontan zur Teilnahme entschlossen hatte, am Ende als Siegerin feststand. Sie selbst hat die drei Wochen in guter Erinnerung behalten: »Ich habe die Wettbewerbssituation eher verdrängt und nur an die Musik gedacht.« So hat sie auch die Stadt erlebt, denn »jede Straße in der Altstadt von Warschau erinnert an Chopin«. Seine Musik stellt für Avdeeva ohnehin ein »ganzes Universum« dar. »In Chopins Werken findet man jede Art von menschlichen Gefühlen und all das, was die Menschen im Leben einfach beschäftigt«. Das gilt gerade besonders für die Mazurken, diese vielschichtigen Mikrokosmen: »Sie sind wie eine Essenz.«
Yulianna Avdeeva, in Moskau geboren, stammt aus einem musikliebenden Elternhaus – »aber meine Eltern waren keine professionellen Musiker«, eher Hobby-Pianisten. Dank einer großen Schallplattensammlung war Musik ständig präsent. »Als ich fünf Jahre alt war, ist meine Mutter mit mir zur staatlichen Gnessin-Schule gegangen, um einen Aufnahmetest zu machen.« So begann ihre Ausbildung, die sie später unter anderem zu Konstantin Scherbakow nach Zürich geführt hat. Sechs Jahre ist sie in der Schweiz geblieben, dann nach München gezogen. Das erklärt auch ihre umfassenden deutschen Sprachkenntnisse. »Sie helfen mir, wenn ich Stücke deutschsprachiger Komponisten spiele. Auch Franz Liszts Muttersprache war deutsch.«
Manchmal ist die Musik für Avedeeva sogar ein besseres Kommunikationsmittel als die Sprache: »Es kommt vor, dass ich für bestimmte Gefühle nicht die richtigen Worte finde. Dann fällt es mir leichter, es mit Musik auszudrücken.« Entsprechend vielfältig ist ihre Art, durch das Klavier zu sprechen. Ihr Anschlag ist sehr flexibel von robust bis zart, ihr Spiel lebt von großer Klarheit und ist immer auf den Punkt gerichtet, als wohne ihm eine innere Logik inne. Vielleicht kann man darin auch die passionierte Schach-Liebhaberin erkennen, die sich in ihrer Freizeit gelegentlich mit der Analyse von WM-Partien beschäftigt. Hört man sie mit der Fuge aus dem letzten Satz von Beethovens »Hammerklavier«-Sonate, so erkennt man darin die umsichtige Strategin, die behutsam Triller auf Triller türmt, die einzelnen Stimmen sorgsam abwägt und ein Tempo wählt, das unkalkulierbare Risiken meiden hilft. Auch das eine Form von Resilienz? Die Beschäftigung mit Kunst ist schließlich immer eine Gratwanderung. Je sorgsamer man sich darauf vorbereitet, desto größer sind die Chancen, in ihr ein Maximum an Gefühlen zu finden und diese dem Publikum zu vermitteln.
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- Mitwirkende
- Mitwirkende
- Yulianna Avdeeva Klavier
- Programm
- Programm
- Frédéric Chopin Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61
- Władysław Szpilman »Das Leben der Maschinen« Suite für Klavier
- Władysław Szpilman Mazurka
- Frédéric Chopin Prélude cis-moll op. 45
- Frédéric Chopin Scherzo Nr. 3 cis-moll op. 39
- Frédéric Chopin Andante spianato et Grande Polonaise brillante Es-Dur op. 22
- – Pause –
- Franz Liszt Bagatelle sans tonalité
- Franz Liszt »Unstern! Sinistre, disastro«
- Franz Liszt Sonate für Klavier h-moll
- Frédéric Chopin Mazurka a-moll aus Mazurkas op. 68 (Zugabe)
- Henry Purcell Chaconne g-moll (Zugabe)
- Frédéric Chopin Mazurka cis-moll aus Drei Mazurkas op. 63 (Zugabe)
- Frédéric Chopin Etüde f-moll Nr. 2 aus Études op. 25 (Zugabe)
- Frédéric Chopin Mazurka f-moll aus Mazurkas op. 68 (Zugabe)
- Frédéric Chopin Nocturne cis-moll op. posth. (Zugabe)
- Frédéric Chopin Walzer A-Dur op. 42 (Zugabe)
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