Konzerthaus Dortmund

Nahrung für die Seele

Jordi Savall ist eine Ausnahmeerscheinung: Er ist virtuoser Gambist, passionierter Forscher, Ensemblegründer und Dirigent. Und er ist ein Künstler, dessen Interpretationen von einem humanistischen Urglauben getragen werden, wie die Welt ihn gerade gut gebrauchen kann.

Mit der Gambe fing alles an. Erste musikalische Schritte ging Jordi Savall zwar im Knabenchor seiner katalanischen Heimatstadt Iguala, lernte später dann Cello. Doch wirklich schicksalhaft war der Moment, in dem er die Gambe für sich entdeckte. Als großes Lebensglück bezeichnet er dieses Erweckungserlebnis, und wenn man »dieses Glück hatte, verstehe ich auch Mark Twain, der sagte: ›Es gibt zwei wichtige Momente im Leben: der Tag, an dem man geboren wurde – und der Tag, an dem man versteht, für WAS man geboren wurde‹«.

Es war vor allem der intime Charakter des Instruments, sein nobel-eleganter und resonanzreicher Klang, der Jordi Savall an der Gambe so sehr faszinierte. Irgendwie scheint es eine Art Seelenverwandtschaft zwischen den beiden zu geben, denn ebenso wie er selbst spricht auch die Gambe mit leiser, fast etwas heiserer Stimme. Und kaum jemand bringt das Instrument so zärtlich zum Singen wie Jordi Savall. Die Gambe war es auch, die das Interesse Jordi Savalls an Alter Musik weckte. Angefangen bei Bach, Couperin und Rameau bohrte er sich immer tiefer hinein in die Musikgeschichte und reiste dabei weiter zurück als die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen. Das gilt zum Beispiel für sein spektakuläres »Jerusalem-Projekt«, das Musik aus mehr als drei Jahrtausenden enthält. Die Aufnahme nimmt uns mit auf eine Zeitreise in eine Stadt im permanenten Spannungsfeld zwischen den Religionen. Es ist ein typisches Savall-Projekt, denn es geht ihm nicht nur ums Musizieren, sondern auch um die Idee einer interkulturellen Begegnung: Musik als Dialog der Kulturen.

Jordi Savall © Philippe Matsas

Humanismus und Musik gehen bei Jordi Savall Hand in Hand, nicht nur im Dialog der Kulturen und Religionen. Musik kann für ihn auch Mahnmal sein, kann uns an Fehler der Vergangenheit erinnern, an Unrecht und Leid, das Menschen über Menschen gebracht haben. »Sklavenwege durch die Welt« hieß eines seiner Projekte, das Klagelieder und Kriegsgesänge aus Mali, Madagaskar, Kolumbien und Mexiko mit historischen Texten über die Sklaverei kombinierte. »Die Musik ist Nahrung für die Seele«, davon ist Jordi Savall überzeugt. »Ich war immer schon davon fasziniert, welche Rolle die Musik für die Menschen spielt. Warum zum Beispiel die armenische Kultur, die eine so tragische Geschichte hat, eine Musik hervorbringen konnte, die fast zärtlich ist. Wie ist das möglich?«

»Armenian Spirit« heißt das Album, das uns mitnimmt in eine Welt voller berührender und schmerzlich-schöner Klänge. Es ist eine von mittlerweile mehr als 200 Aufnahmen, die auf dem Eigenlabel Alia Vox erschienen sind. Denn Jordi Savall gehörte zu den ersten in der
Klassikszene, die ihr eigenes Label gegründet haben. Ohne Rücksicht auf die oft finanziellen Interessen des Musikmarktes konnte er hier seine musikalischen Visionen und Ideen kompromisslos umsetzen.

Das ist auch der Grund, warum er im Laufe der Jahre gleich mehrere Ensembles gründete: 1974 rief er das Ensemble Hespèrion ins Leben, das auf Originalinstrumenten spielt und sich auf die Musik vom Mittelalter bis zum Barock spezialisiert hat. 1987 folgte La Capella Reial de Catalunya, ein Vokalensemble, das sich nach historischen Kriterien der Musik vor dem 19. Jahrhundert widmet. 1989 gesellte sich dann noch Le Concert des Nations hinzu, dessen Heimat das Orchesterrepertoire vom Barock bis zur Romantik ist und das Werke von Bach und Mozart, Händel und Beethoven aus dem ursprünglichen Geist ihrer Entstehungszeit heraus interpretiert. Denn das sollten wir nicht vergessen: Bei allem obsessiven Forscherdrang, der Jordi Savall noch in die entlegensten Repertoirewinkel der Vergangenheit leuchten lässt, ist er gleichermaßen im Standardrepertoire der Alten Musik zu Hause. Beethovens »Eroica« hat er ebenso eingespielt wie Mozarts Requiem oder Bachs h-moll-Messe. In Dortmund steht nun dessen Johannes-Passion auf dem Programm, die der katalanische Dirigent gemeinsam mit seinem eingespielten Team musiziert. Und damit enden wir da, wo wir angefangen haben: bei der Gambe. Denn der schönste Moment in Bachs Johannes-Passion ist für Jordi Savall der Tod Jesu: »Es ist vollbracht« singt der Countertenor an dieser Stelle: »Das ist, als sterbe man selbst.« Und dazu spielt die Viola da Gamba mit ihrem unvergleichlichen Klang, der Jordi Savall vor mehr als 40 Jahren auf seine abenteuerliche und künstlerisch so fruchtbare Reise schickte.

    • Fr 29.03.2024
    • 19.00 Uhr

    Chorkonzert

    Johannes-Passion am Karfreitag – Jordi Savall

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