Konzerthaus Dortmund

Ich höre, was du siehst

Beat Furrer ist einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart. Im Konzerthaus Dortmund kann das Publikum fünf Tage lang in seine Klangwelten eintauchen.

Wie klingt die Natur, wenn man versucht, sie musikalisch zu greifen? Das beantwortet kaum ein Komponist so gut wie Beat Furrer: Lauscht man seinen außergewöhnlichen Werken, dann erfährt man ein klangliches Ertasten der Welt, der Umgebung, der Natur und der Menschen.

»Ich gehe als Komponist mit offenen Ohren durch diese Welt. Was mir dabei begegnet, versuche ich zu entschlüsseln – und so auch hörend zu begreifen, was um mich herum passiert.«

Beat Furrer

Dass sich der 1954 in der Schweiz geborene Künstler zum Komponieren in die Berge der Steiermark zurückzieht, erscheint fast logisch, wenn man seine Musik hört. In dem Forsthaus im sogenannten Gesäuse, umgeben von Felsen, Wald und Wind kann Furrer sich am besten konzentrieren – und inspirieren lassen. Dort dringt jeder Klang zu ihm durch, jedes Wort, jedes Geräusch dieser Welt trifft auf seine offenen Ohren. Doch der Komponist ist kein Eremit: Lange hat er auch in Wien gewirkt und dort das Ensemble Klangforum Wien gegründet. In der Neue-Musik-Szene hat er gewissermaßen einen Popstar-Status, 2018 hat er den »Ernst von Siemens Musikpreis« gewonnen – wenn man so will, ist das der »Nobelpreis« der klassischen Musik. Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass Furrer die Musikgeschichte weiterschreibt und -denkt. Seinen Erfolg verdankt er wohl auch seiner besonderen Perspektive auf das Neue. Es gibt für ihn in der Kunst keinen materialhaften Fortschritt, kein vorne und hinten. Ein Klang ist nur neu, indem er in einen neuen Zusammenhang gestellt wird. Und das macht er in seiner Musik ständig – inspiriert von der Welt, die ihn umgibt.

Zu den verschiedenen Einflüssen aus seiner Umgebung gehört in besonderem Maße auch die Sprache. Ihr Einfluss erstreckt sich über verschiedene Dimensionen auf Furrers Kompositionen. Denn er erforscht nicht nur ihre musikalischen, sondern auch ihre semantischen Eigenschaften. »Die Sprache ist Ausgangspunkt, und wenn ich die Sprache zersplittere, dann tue ich es zum Beispiel aus der Frage heraus, was sich dazwischen abspielt, ob es etwas Prozesshaftes geben kann«, so Furrer. Seine Stücke zeugen von einem sensiblen Umgang mit Worten; mit seiner Auswahl an Phrasen, Silben und Klangfarben schafft er eine dichte und ausdrucksstarke musikalische Erzählung.

Dieser besondere Zugang zur Musik mag manchmal ungewohnt klingen. Ein Zischen, ein Flüstern, ein winziges Beben – wie schafft Beat Furrer es, seine Stücke derart musikalisch aufzuladen, wo er doch mit so reduzierten Klängen arbeitet? Die leisen Töne wirken intensiv im Kontrast zum Lärm der Gegenwart. Furrers Musik entwickelt ihren subtilen Reiz und ihre Faszination, indem sie auch mit der Stille arbeitet.

Das Konzerthaus Dortmund widmet dem außergewöhnlichen Komponisten anlässlich seines 70. Geburtstages vom 2. bis 6. Oktober ein ganzes Festival, in dem das Publikum fünf Tage lang seine Klangwelten erkunden kann – von seiner Vokal- und Instrumentalmusik bis hin zu Gesprächsformaten mit Beat Furrer persönlich vor Ort. Die Zeitinsel wurde in enger und persönlicher Zusammenarbeit mit ihm entwickelt, und so gehört neben seinen Hauptwerken auch eine neue Komposition dazu, die vom Konzerthaus Dortmund in Auftrag gegeben wurde und die hier auch erstmals erklingen wird.

Das Zeitinsel-Festival beginnt mit einem Salon, einem Gesprächsformat, in dem der Komponist ganz nah erlebbar ist und mit dem Konzerthaus-Intendanten Raphael von Hoensbroech über seine Musik und das Festival spricht. In den folgenden Tagen spannt sich als großer Bogen Furrers Beziehung zu Text, Sprache und Literatur über die Zeitinsel. Im Mittelpunkt stehen dabei seine beiden großen Vokalzyklen »Enigma« und »Akusmata«, denen Texte von Leonardo da Vinci und Pythagoras die literarische Vorlage bieten. Sie gelten als besonders herausfordernd; Stimmen werden zu komplexen Melodieflüssen verzahnt und führen das Publikum in ganz neue harmonische Räume. Sie verlangen den Sängerinnen und Sängern so ziemlich alles ab, was die menschliche Stimme nur hergibt. In Dortmund übernehmen das die beiden Furrer-erfahrenen Ensembles Cantando Admont und das Chorwerk Ruhr. Mit dabei ist auch das Klangforum Wien, das mit Beat Furrer als Gründungsvater natürlich als Experte für dessen Werke gilt.

End- und Höhepunkt der Zeitinsel ist die konzertant aufgeführte Oper »Begehren«, in der Furrer auf einen der Ur-Mythen der europäischen Kulturgeschichte zurückgreift: Orpheus. »Er« und »Sie« singen darin als namenlose Protagonisten in unterschiedlichen Sprachen, die nicht zueinander finden. Erst spät kommt es kurz zu einer Art Dialog, doch zentral bleibt ihre unmöglich gewordene Kommunikation. Subtil greift Furrer hier die großen Themen des Orpheus auf, es geht um das Sich-nicht-erreichen-können, um Abgekehrtheit, Schattendasein und eben um das titelgebende Begehren. Poetisch und zart seziert er darin die Sage um den berühmtesten Sänger der griechischen Mythologie – wie sollte es auch anders sein, bei dem Klangforscher Beat Furrer.