Sie könnten glatt als Popstars, als nordische Beachboys durchgehen: die Brüder Lucas und Arthur Jussen aus dem niederländischen Hilversum. Blond, markante Gesichtszüge, jung, sportlich, hip – mit dem biedermeierlichen Hausmusik-Image, das die Musik für Klavier zu vier Händen mitunter umgibt, haben sie nichts gemein.
»Es ist, als würde man zwei BMWs gleichzeitig fahren«, brachte der Dirigent Michael Schønwandt den Erfolg der Jussen-Brüder auf dem Punkt, die seit ihrem Auftritt 2005 als Teenies zum Silberjubiläum der damaligen Königin Beatrix im Rampenlicht stehen und regelmäßig in die Top-Positionen der niederländischen Charts stürmen. Da mag die Anmerkung eines Autoren von »de Volkskrant« etwas betulich klingen: »Unter ihren Händen verschmelzen beide Klaviere zu einem einzigen wohlklingenden Instrument.« Doch auch sie entspricht dem Selbstverständnis der Brüder: »Es ist, als ob wir eine Person wären«, sagen sie unisono, die stets im Partnerlook auf der Bühne erscheinen und sogar manchmal von einem Stuhl aus spielen.
Ganz im Unisono geht es aber nicht immer zu – zumindest nicht im Gespräch. Da kehrt jeder die eigene Persönlichkeit hervor. Da ist der extrovertierte ältere Lucas, mit dem staunenden Blick eines Kindes, der laut seinem drei Jahre jüngeren Bruder einfach »mehr lacht«, wenn auch manchmal »an der falschen Stelle«, wie er selbst eingesteht. Und da ist Arthur. Ernster und stiller wirkt er, ein junger Mann mit charismatisch fotogenen Zügen. Mag der impulsivere Lucas den Geburtstag des Bruders vergessen oder auch die Klamotten für den Auftritt; auf den nachdenklich wirkenden technologisch versierten Arthur ist Verlass. Denn beide sind sich einig, dass egal was passiert: The show must go on!
Mehr erfahrenAufgewachsen sind sie in einer musikalischen Familie: Ihre Mutter Christianne van Gelder unterrichtet Flöte und Vater Paul Jussen ist Schlagzeuger im niederländischen Radiophilharmonieorchester in Hilversum. Ein Anbau auf der Rückseite ihres Familien-Hauses war seinerzeit nötig, um die zwei Konzertflügel der Kinder unterzubringen. Plus Lucas’ Schlagzeug, aus dem auch ein Rockmusiker hätte werden können oder ein Tennis- Star. Denn ihre Kindheit verbrachten die Brüder nicht nur im stillen Kämmerchen bei Klavieretüden und im Wettbewerbs-Drill, sondern auch auf dem Tennis-Platz. Jeden Samstagmorgen brachte der Vater sie zum Training. »Wir können nicht 24 Stunden am Tag ans Klavier denken. Wir müssen etwas anderes tun, um ab und zu den Kopf freizubekommen, sonst hätten wir kein Leben«, sagte 2010 der seinerzeit 14-jährige Arthur den Reportern, die damals schon die Karriere der »goldenen Boys« verfolgten. Bereits 2009 war über sie eine Doku (»Arthur and Lucas Jussen – Two very common brothers«) gedreht worden. 2010 haben sie den Vertrag mit der Deutschen Grammophon abgeschlossen. Ganze drei Jahre hatten die Eltern mit der Verantwortung einen solchen Vertrag zu unterzeichnen gehadert, fanden sie ihre Kinder seinerzeit noch viel zu jung für diesen Weg. Dann aber stimmten sie zu und für die Jungen begann ein Siegeszug durch die Konzerthallen mit den großen Orchestern der Welt und einer gleich mit Platin und dem »Edison Award« ausgezeichneten Debüt-Aufnahme mit Werken des jungen Beethoven. Verantwortungsbewusst sagten sie damals: »Beethoven schrieb die Sonate Nr. 5 op. 10 in jungen Jahren, deshalb können wir es auch in unserem Alter schon spielen. Aber wir hätten uns zum Beispiel nicht getraut, die Sonaten op. 110 oder op. 111 zu spielen.« Nach einem Schubert-Album und »Jeux«, einer Aufnahme mit französischer Klaviermusik, erschienen 2015 die beiden Mozartkonzerte KV 242 und KV 365, die Goldstatus erreichten. Mit dabei: die Academy of St Martin in the Fields unter Sir Neville Marriner, der aus seinem Staunen nicht herauskam. »Man merkt, dass das nicht gewöhnlich ist«, schwärmte er von den jungen Pianisten, die mit ihren damals 19 und 23 Jahren trotz ihres Erfolges wohl auch geahnt haben müssen, dass die eigentliche Arbeit noch vor ihnen lag. Schließlich ist der Weg vom niedlichen Wunderkind zum erwachsenen Musiker mit eigener Sprache nicht einfach, verliert das Spektakuläre rasch seinen Reiz. Bereits ein Genie wie Mozart bekam dies schmerzhaft zu spüren.
Dankbar waren die Jussen-Brüder ihren Lehrmeistern wie Menahem Pressler, bei dem Lucas seine Ausbildung vervollständigte, und Jan Wijn am Konservatorium in Amsterdam, bei dem Arthur sein Studium abschloss. Und Maria João Pires, die sie beide noch als Kinder unter ihre Fittiche nahm. Bewusst wurde dem selbstkritischen und reflektierten Arthur das Dilemma am Beispiel von Johannes Brahms’ op. 118: »Technisch ist die Musik machbar, aber hinter ihr steckt noch sehr viel mehr. Eigentlich bin ich noch nicht in der Lage, dieses Stück zu spielen, weil da so viele verschiedene Emotionen drin sind, die man nur verstehen kann, wenn man viel durchgemacht hat. Beim Spielen spüre ich das nicht. Dann mache ich einfach mein Bestes. Aber wenn unsere Lehrerin Maria João Pires das Werk spielt, höre ich, was meinem Spiel fehlt.« Und: »Man darf kein Nachahmer werden. Es muss aus einem selbst kommen. Sonst spielt man ohne Persönlichkeit, und so sollte es nicht sein.«
Im Juni sind Lucas und Arthur Jussen wieder in Dortmund zu Gast mit einem Repertoire, das mit dem Vorurteil, Klavierspielen zu vier Händen sei mit wenig Aufwand oder bescheidenem technischen Können zu realisieren, aufräumt. Das gilt vor allem für Strawinskys Konzert für zwei Klaviere, das mit seiner Brillanz und den virtuosen Läufen hohe technische Anforderungen an die Interpreten stellt. »Was auch immer passiert an Fehlern: Geh das Risiko ein!«, findet Lucas und ermuntert seinen Bruder: »Hey, du bist doch super vorbereitet. Spiel einfach! Mach Musik.« Der zum Grübeln neigende Arthur ist wiederum seinem Bruder dankbar, dass er die »Dinge in die richtige Perspektive« setzt.
Wäre da noch die Frage, wer im Duo den »Friedens-Nobelpreis« verdient. »Ich!«, ruft Lucas spontan. Jetzt aber muss auch Arthur kontern: »Wieso eigentlich du? Ich suche bei Konflikten immer nach einer Lösung.« »Also bekommen wir beide ihn!«, lacht Lucas.
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- Mitwirkende
- Mitwirkende
- Lucas Jussen Klavier
- Arthur Jussen Klavier
- Programm
- Programm
- Wolfgang Amadeus Mozart Sonate für Klavier zu vier Händen C-Dur KV 521
- Franz Schubert Fantasie für Klavier zu vier Händen f-moll D 940
- – Pause –
- Frédéric Chopin Rondo für zwei Klaviere C-Dur op. 73
- Igor Strawinsky Konzert für zwei Klaviere (1931/35)
- Dmitri Schostakowitsch Concertino für zwei Klaviere a-moll op. 94
- Igor Roma »Strausseinander« (Paraphrase über Johann Strauss' »Fledermaus« für zwei Klaviere) (Zugabe)
- Johann Sebastian Bach »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« BWV 106 (Fassung für zwei Klaviere von György Kurtág) (Zugabe)
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