Die Entdeckung der Langsamkeit
Seong-Jin Cho im Schnelldurchlauf: Der Pianist stammt aus Südkorea, hat in Paris studiert, Preise gewonnen und ist anschließend nach Berlin gezogen. Musikalisch verfügt er über eine breite Palette an Ausdrucksformen und Interessen.
Alles geschieht auf engstem Raum. 34 Takte nur, kaum 30 Sekunden kurz. Die Musik bäumt sich auf zum Fortissimo und verliert sich danach aushauchend ins Nichts. Dass alles so dicht komponiert ist, macht es so kompliziert. Daher gibt es Pianistinnen wie Martha Argerich, die sich in dieses erste Prélude aus Frédéric Chopins op. 28 geradezu hineinstürzen. Man kann diese Miniatur aber auch vorsichtiger abbilden und immer neu Anlauf nehmen, um den Höhepunkt zu erklimmen. Zu diesen Vertretern gehört Seong-Jin Cho, der 2015 als erster Koreaner den Warschauer »Chopin-Wettbewerb« für sich entscheiden konnte und in der Finalrunde Chopins Préludes-Zyklus aufführte. Bei Chopin fühlt Cho sich wohl. Doch nach dem Erfolg von Warschau war die Welt plötzlich eine andere. »Eine schwierige Zeit«, fasst er die folgenden Wochen zusammen. Er musste Entscheidungen treffen: Management, Label, dazu die tägliche Arbeit am Repertoire. Chos erste Studioproduktion galt dann – einmal mehr – der Musik von Chopin. Neben dem Ersten Klavierkonzert entschied er sich für die vier Balladen. »Chopin ist ein wunderbarer Rhetoriker, er kann exzellent Geschichten erzählen. Allein wie er mit den Tonarten umzugehen versteht!« Wenn Cho heute ein Podium betritt und am Klavier Platz nimmt, beginnt für ihn immer eine Art von Dialog: »In erster Linie mit dem Komponisten, denn die Partitur ist das Allerwichtigste. Und dann natürlich der Dialog mit dem Publikum.«
Cho ist geerdet genug, um richtig einzuschätzen, was es heißt, der Gewinner in Warschau zu sein und zugleich Preisträger beim »Tschaikowsky-Wettbewerb« in Moskau, wo er als Siebzehnjähriger Dritter wurde – der Sieger damals hieß Daniil Trifonov. Mit leiser Stimme vertritt er entschieden die Meinung, was er von Wettbewerben im Allgemeinen hält: wenig bis nichts. »Ihre Aussagekraft ist eng begrenzt, weil es eine rein sportliche Auseinandersetzung ist.« Die Frage, warum er mit solch einer Einstellung überhaupt teilgenommen habe, beantwortet er pragmatisch: »Ich wollte Konzertpianist werden, und für meine Karriere waren Wettbewerbe die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. Es gab keine Alternative.«
Zu hause, während seiner Kindheit in Seoul, ist er bei Eltern aufgewachsen, die musikinteressiert, aber keine Berufsmusiker waren. Mit sechs Jahren hat Seong-Jin Cho erstmals am Klavier gesessen und Unterricht bekommen. Alles »just for fun«. Erst mit zehn hat er ernsthaft mit dem Üben begonnen. Früh beeindruckt haben ihn die Schubert-Aufnahmen mit Radu Lupu und Einspielungen mit Carlos Kleiber und Karajan. Eine große Umstellung bedeutete schließlich der Gang nach Europa, für das Studium in Paris bei Michel Béroff. »In Korea geht das Leben schneller voran. Alles ist stärker durchorganisiert, um dieses hohe Tempo halten zu können. Dazu kommen die vielen hohen Gebäude und der dichte Verkehr – in Europa hingegen verläuft das Leben eine Spur langsamer, selbst in Paris.«
Musikalisch hat sich Cho mittlerweile breit positioniert. Er hat ein Album mit Mozart-Werken aufgenommen, außerdem Schubert und Liszt, Brahms sowie Suiten von Händel: feinfühlig, nie überbordend, überlegt. Sein facettenreicher Anschlag und seine Variabilität sind gute Argumente, die auch seine Sicht auf die Musik von Claude Debussy prägen. Durch den dritten Satz des ersten »Images«-Bandes perlt sich Cho staunenswert leicht und präzise. Als wolle er signalisieren: Debussy war kein Träumer, sondern ein Erneuerer, ein Revolutionär der sanften Töne – Claude Debussy nicht als Wattierer, sondern als Strukturalist.
Egal, ob Cho am Klavier sitzt oder über Musik spricht, man gewinnt rasch den Eindruck, dass dieser junge Mann mit knapp 30 Jahren sehr wohl weiß, worauf es ankommt. Platz für Flausen? Fehlanzeige. »Eine Phrase zu formen, das ist mir beim Klavierspiel sehr wichtig. Wenn man eine Taste herunterdrückt, kommt am Klavier immer ein Ton raus, das weiß jeder. Aber wie forme ich diesen Ton, wie binde ich ihn ein in der Umgebung mit anderen?« Fragen wie diese kreisen ständig in seinem Kopf. »Das bedeutet nicht, dass jede Musik wie Gesang klingen soll. Beethovens Musik ist beispielsweise viel sinfonischer als Mozarts. Da stelle ich mir dann vor, wie die einzelnen Instrumente klingen: Geige, Cello, Flöte, Horn, Trompete.«
Ein Leben ohne Musik? Für Seong-Jin Cho kaum vorstellbar. Deswegen ist es auch mühsam, ihm Interessen zu entlocken, die nicht mit Musik zusammenhängen. »Die Malerei.« Er geht sehr gern in Museen. »Lesen. Und die Begegnung mit Freunden«, fügt er hinzu. Am Ende ist er fast wieder ein wenig scheu, wenn er ergänzt: »Aber auch dann geht es meist wieder um Musik…«
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- Mitwirkende
- Mitwirkende
- Orchestre National de France
- Cristian Măcelaru Dirigent
- Seong-Jin Cho Klavier
- Programm
- Programm
- Lili Boulanger »D’un matin de printemps« für Violine und Orchester (Fassung für Orchester)
- Camille Saint-Saëns Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 F-Dur op. 103 »L’Égyptien«
- Maurice Ravel Toccata aus »Le tombeau de Couperin« (»Das Grabmal von Couperin«) (Zugabe)
- – Pause –
- Lili Boulanger »D’un soir triste«
- Claude Debussy »La Mer«
- Maurice Ravel »Boléro« (Zugabe)
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