Konzerthaus Dortmund

Mit offenen Armen

2022 wurde sein Dirigat in Wagners »Rheingold« bejubelt. Jetzt kehrt Yannick Nézet-Séguin mit der »Walküre« zurück – zusammen mit einem Starensemble, mit dem er bereits an der New Yorker Met erfolgreich zusammengearbeitet hat. Der Frankokanadier ist ein Magnet ohne Allüren.

Er fühlt sich hier wohl: Wenn Yannick Nézet-Séguin über das Konzerthaus Dortmund spricht, dann nur in höchsten Tönen. Gerne erinnert er sich an die Einladung des ehemaligen Intendanten Benedikt Stampa, der ihn 2008 mit folgenden Worten lockte: »Kommen Sie nach Dortmund! Es ist einer der besten unter den neueren Konzertsälen.« Der in Montréal geborene Dirigent, der zu diesem Zeitpunkt gerade die Leitung des Rotterdam Philharmonic Orchestra übernommen hatte, folgte gerne dem Ruf. »Direkt beim ersten Besuch verliebte ich mich in den Ort und war dann sehr am Konzept interessiert«, erklärte er in einem Interview mit der Deutschen Welle. Seine Neugier fand Bestätigung, denn im Konzerthaus stimme einfach alles, erzählte er begeistert: »Die Art und Weise, wie man Programme zusammenstellt, die Vermarktung, die Vision, die Kreativität, auch der Wagemut, den man hier spürt. Das hat sehr viel mit meinem eigenen musikalischen Ansatz gemein.« Seine Erfahrung nach den ersten Gastspielen durfte er in Folge ausgiebig mit dem Dortmunder Publikum teilen.

Zur Saison 2013/14 startete eine dreijährige Zusammenarbeit als Exklusivkünstler unter dem Titel »The Yannick Experience«. Die Nennung seines Vornamens genügte, denn die Zuhörer fühlten sofort die Nähe, die der smarte Frankokanadier bei seinen Konzerten vermittelt – auch im Orchester. Er formt den Unterschied, den es braucht, damit große Kompositionen großartig klingen. Jedes Orchester habe seine eigene Persönlichkeit, betont er. Leider drohe dies im internationalen Vergleich zunehmend zu verschwinden. »Es liegt an uns Dirigenten, die Unterschiede unter den Klangkörpern zu bewahren und zu fördern, damit nicht hinterher alle gleich klingen. Und es stimmt: Wenn ich irgendwohin zurückkehre, kommt der kleine Schock – und zwar immer dann, wenn ich die ersten Töne höre.«

Jetzt kommt Yannick Nézet-Séguin tatsächlich zurück, aber gewiss ohne einen Schockmoment. Eher wird er mit offenen Armen empfangen werden und kann das fortführen, was er im April 2022 mit Richard Wagners »Das Rheingold« umjubelt begann. Die Presse war sich einig: Die gesamte Aufführung glänzte, sie war luxuriös und »auf Festspielniveau«, wie die »WAZ« urteilte. »Keine Kostüme, keine Kulisse – und doch sattes Musiktheater«, schrieb der Kritiker über die konzertante Aufführung der Oper, die als »Vorabend« die Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« eröffnet. Das Fazit des begeisterten Rezensenten: »Es gab derart viel vokalen Glanz, dass die fiebrig-blühenden, das Drama antreibenden Rotterdamer Philharmoniker unter Yannick Nézet-Séguin als Selbstverständlichkeit erschienen. In den überragend gedeuteten Übergangsmusiken erhielten sie die Aufmerksamkeit, die sie selbstredend die ganzen zweieinhalb Stunden verdient hatten.« Nun folgt »Die Walküre«, wieder mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, das der Publikums- und Musikermagnet inzwischen als Ehrendirigent leitet und bis 2018 als Chefdirigent führte. Erneut hat er eine Besetzung handverlesen, wie er sie bereits an der New Yorker Metropolitan Opera um sich scharen konnte.

Was macht seine Faszination aus? Wie vermögen seine breit ausgestellten Arme bei der Arbeit die ganze Energie der Musik aufzufangen und sie derart mitreißend-ummantelnd im Raum zu verteilen? Wie macht er das? Zunächst einmal: mit guter Vorbereitung. Yannick Nézet-Séguin vertieft sich gerne in Details, ist präzise und diszipliniert. Das verbindet ihn mit Carlo Maria Giulini, bei dem er studiert hat und der ihn wie kein anderer prägte. Aber er beherrscht auch die Kunst der Kommunikation. Völlig frei von Allüren interagiert er mit Musikerinnen und Musikern. Hauptamtlich leitet er gleich drei Klangkörper: das kanadische Orchestre Métropolitain, das Philadelphia Orchestra und die Metropolitan Opera in New York. Seine Sprache ist ungekünstelt, nie sieht man ihn mürrisch oder verschlossen. Stets gut gekleidet hat dieser Mann zudem »Style«, verteilt auf 1,62 m Körpergröße. »Viele Dirigenten sind klein«, sagt er mit charmantem Lächeln. »Entscheidend beim Dirigieren sind die Kommunikation und das Gefühl.«

Mit fünf Jahren begann Nézet-Séguin Klavier zu spielen, dann sang er im Chœur Polyphonique de Montréal. Aber viel mehr reizte ihn ein noch komplexerer Klangkörper: das Sinfonieorchester. Yannick wollte Dirigent werden. Kinder haben ja manchmal bizarre Berufswünsche. Aktuell wollen sie vielleicht IT-Millionärin werden oder zumindest umschwärmter Mode-Influencer, in früheren Zeiten Astronaut oder Feuerwehrmann. Oder eben Dirigent. »Es war eine seltsame Idee«, gesteht der heute 49-Jährige. Seine Eltern waren beide keine Musiker, sondern lehrten an der Universität, was sich als Vorteil herausstellte. Denn als gute Pädagogen unterstützten sie den Traum ihres Sohnes. »Sie haben sich gehütet, ein entmutigendes Wort laut werden zu lassen.«

Yannick Nézet-Séguin © Antoine Saito

2008 feierte der damals noch als unbeschriebenes Blatt geltende Dirigent bei den »Salzburger Festspielen« seinen internationalen Durchbruch. Es war seine erste Opernproduktion außerhalb Kanadas. Charles Gounods »Roméo et Juliette« stand auf dem Programm, und die Fachwelt diskutierte eifrig, ob der für seine Eskapaden bekannte Rolando Villazón die Titelpartie stemmen könne und Nino Machaidze, die für die schwangere Anna Netrebko eingesprungen war, nicht untergehen würde. Die Aufführung geriet zum fulminanten Erfolg. Jedoch nicht die Stimmen standen im Mittelpunkt der Rezensionen, sondern der junge Mann am Pult sorgte für die Sensation. »Sympathisch aufgekratzt« habe er sich ins Zeug gelegt, hieß es an einer Stelle, er sei ein »Animator«, der »den Riesenladen nicht nur souverän zusammenhält, sondern ihn temperamentvoll, mit viel Sinn für großbögige Zusammenhänge, federnde Rhythmen und geschmeidige Übergänge« befeuere. Und schließlich, so lapidar wie treffend für Yannick Nézet-Séguin: »Der beste Sänger ist der Dirigent«. 

    • Mi 01.05.2024
    • 18.00 Uhr

    Konzertante Oper

    Yannick Nézet-Séguin dirigiert Die Walküre

    Wagners Bühnenfestspiel in Met-Besetzung